Das Jahr 2025 – Chance oder Falle der Demographie?

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Es klingt wie eine düstere Prophezeiung aus einem schlechten Film und ist dennoch bittere Realität. Wenn die Bevölkerungszahl in Deutschland weiter so abnimmt, wie derzeit, dann ist berechenbar, wann das Land ausgestorben ist. Und Sachsen-Anhalt hält dabei eine Spitzenposition. Hier kommt zu den zu wenigen Geburten noch hinzu, dass sehr viele, zu viele, junge Leute in die Ferne ziehen, um woanders ihr Glück zu versuchen. Derzeit verlassen jeden Tag zwischen 70 und 80 Menschen ihre Heimat Sachsen-Anhalt.

Demographische Fehlentwicklungen wirken wie eine schleichende Krankheit. Sie ist da, aber man verspürt die Auswirkungen nicht sofort, sondern erst später. Wird die Situation dann aber akut, dann ist kaum noch etwas zu retten. Noch viel komplexer wirkt sich das auf eine beispielsweise alternde Gesellschaft aus. Bereits mit dem Rückgang der Geburtenzahlen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung der deutschen Staaten war klar, dass die Lawine im Rollen war. Man konnte sie berechnen, man wusste um die Auswirkungen, aber es tat noch nicht weh. Jetzt, 20 Jahre später, ist sie in voller Wucht angekommen und reißt alles mit sich, was bis dahin fein in Strukturen der Entwicklung gefügt war.

Neue Erdenbürger werden rar
Nach 1990 brach die Geburtenziffer in Sachsen-Anhalt rasant ein. Gut 12 Jahre brauchte es, bis der Trend sich wieder langsam umkehrte. Seit dem Jahr 2003 stieg die Geburtenrate stetig von 1,21 auf 1,38 Kinder je Frau. Das lässt hoffen. Im Jahr 2008 lag man in Sachsen-Anhalt erstmalig über dem Durchschnitt der alten Länder, so dass die Leute, die sich von Berufs wegen mit Statistik und Prognosen beschäftigen, von einem weiteren gedämpften Anstieg auf knapp1,5 bis zum Jahr 2025 ausgehen. Nun ist das mit Prognosen aber so eine Sache. Eine Wirtschaftskrise, wie die gerade durchstandene, reicht, um alle Prognosen über den Haufen zu werfen. So gesehen sind die hoffnungsvollen Zahlen mit aller Vorsicht zu genießen. Ganz abgesehen davon, dass auch eine Geburtenrate von 1,5, bei weitem nicht reicht, um die Reproduktion der Gesellschaft zu sichern. Mit einer so genannten zusammengefaßten Fruchtbarkeitsziffer (TFR) um die 1,34 Geburten pro Frau (2005), rangiert Deutschland bei den niedrigsten Geburtenraten fast gleichauf mit Italien und Spanien. Diese Rate wird derzeit nur noch von einigen Ländern Osteuropas unterboten. In Ostdeutschland verharrte sie für die Jahrgänge 1948-1958 bei etwa 1,8, fällt danach ab und hat sich für den Jahrgang 1965 mit knapp 1,6 dem westdeutschen Niveau weitgehend angenähert. Interessant dabei ist, dass man in der DDR das Problem sehr zeitig erkannt und intensiv angepackt hat. Ursache war hier der legalisierte Schwangerschaftsabbruch, der zu einem enormen Rückgang der Geburten führte. In der DDR lag die Geburtenrate Mitte der 70er unter der Westdeutschlands, stieg dann aber in Folge der so genannten familienpolitischen Maßnahmen in den letzten 15 Jahren vor der Wende deutlich über den Stand der Bundesrepublik.. Nach der Wende fiel umgekehrt die Rate  der neuen Länder auf ein historisches Tief von rund 0,8 Kinder je Frau im Jahr 1994 (dem niedrigsten je gemessenen Wert weltweit). Seither haben sich die Werte dem bundesdeutschen Durchschnitt angenähert. Doch Grund zur Entwarnung gibt es nicht, denn auch diese Zahl reicht bei weitem nicht, um den Trend umzukehren. Dafür müsste jede Frau zwischen 15 und 44 Jahren mindestens 2,1 Kinder bekommen.

Was Hänschen nicht lernt…
Über viele Jahre haben sich die Politik, die Kammern und andere Einrichtungen darum bemüht, für alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Firmen konnten sich unter den Bewerbern die besten aussuchen, manchmal war gar das Abitur die einzige Möglichkeit, um eine Lehrstelle zu erhalten. Parallel dazu wurden die über 50jährigen aussortiert. Je jünger das Durchschnittsalter eines Unternehmens, desto leistungsfähiger galt es insgesamt. Diese Situation ist noch gar nicht so lange her, als dass man die warnenden Stimmen überhören konnte, die eine Umkehr vom Jugendwahn forderten. Gehört wurden sie kaum, selbst dann nicht, als sich bereits ganz klar abzeichnete, dass der Jugendnachschub demnächst ausbleiben würde.

Von diesem Vorwurf kann sich die Wirtschaft nicht frei machen. Erst als die ersten Lehrstellen nicht mehr zu besetzen waren, kam das große Erwachen. Im Jahre 2006 drängten noch in Sachsen-Anhalt 31 447 Schüler aller Schulformen auf den Arbeitsmarkt bzw. bewarben sich für ein Studium. Gerade mal drei Jahre später, 2009, waren es noch 18 461, also gerade mal 58 Prozent der sonst zur Verfügung stehenden Bewerberschar. Einziger Vorteil der Firmen hier in Sachsen-Anhalt: Diese Entwicklung kommt zeitversetzt in den alten Bundesländern erst später. Es ist schon jetzt abzusehen, dass dann der Kampf um Köpfe und Hände wie an den Universitäten bereits heute geführt wird.
Gerade vor wenigen Tagen war wieder so ein Unternehmenstag an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg mit einer Rekordbeteiligung von mehr als 80 großen, weltweit agierenden Unternehmen. Hier jagen die Headhunter, wörtlich übersetzt Kopfjäger, im wahrsten Sinn des Wortes die klügsten Köpfe. Und wem könnte man es verdenken, dass der Lockruf von mehr Geld, Entwicklungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten wirkt? Kein Vorwurf an die, die ihr Wissen zu Kapital machen. Der Vorwurf trifft allein die Politik, die es nicht vermochte, einer solchen von etablierten Wirtschaftskreisen durchaus geförderten Unterschiedlichkeit entgegenzuwirken.

Ein Volk von Alten
Wenn es doch, um bei der Zwischenüberschrift zu bleiben, wenigstens Omas und Opas wären. Dann würde es wenigstens mit der Reproduktion der Gesellschaft zukünftig besser bestellt sein. Aber auch das ist nicht der Fall. Stattdessen steigt die Lebenserwartung von Jahr zu Jahr. Das ist erfreulich, aber auch teuer.
Die Lebenserwartung für Neugeborene stieg von 1991 bis 2007 rasch und stetig von 76,8 auf 81,7 Jahre für Mädchen und von 69,4 auf 75,3 Jahre für Knaben. Bis 2025 wird, orientiert am Bundestrend, ein weiterer gedämpfter Anstieg auf 84,5 bzw. 79,3 Jahre angenommen.
Sachsen-Anhalts Bevölkerung wird in 20 Jahren die älteste in ganz Europa sein. So wird der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren von heute 24,2 auf 36 Prozent im Jahr 2030 steigen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Europäischen Statistikamtes Eurostat. Untersucht wurden 281 Regionen der 27 Mitgliedsstaaten.

Schlussfolgerung: Deutschland wird am stärksten betroffen sein, wenn die Landflucht weiter so vonstatten geht wie jetzt und die Alterung in diesem Umfang weiter voranschreitet. Und das dies so sein wird, darüber sind sich alle Experten einig. Der Osten der Republik ist dabei besonders betroffen: So steigt in Leipzig der Anteil der Senioren von derzeit 23,2 auf 30,3 Prozent. Thüringen muss sich auf einen Zuwachs von 23,1 auf 35,6 Prozent einstellen. Die älteste Stadt der EU wird in 20 Jahren übrigens Chemnitz sein. Dort leben derzeit 25,9 Prozent über 65-Jährige, bis 2030 steigt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung auf 37,3 Prozent.

Es wird einsam im Land
Werden die aktuellen Entwicklungen zu Grunde gelegt, so die 5. Regionalisierte Bevölkerungsprognose für das Land Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2025, dann wird dieses Bundesland 18,6 Prozent seiner Einwohner verlieren. Das ist ein prognostizierter Rückgang von 442.530 Personen. Im Jahr 2023 wird voraussichtlich erstmals die Zwei-Millionen-Einwohnergrenze in Sachsen-Anhalt unterschritten. Hauptanteil an dieser Entwicklung hat das anhaltende Geburtendefizit, da die älteren Jahrgänge erheblich stärker besetzt sind als die jungen Jahrgänge.
Trotz des angenommenen Geburtenanstiegs je Frau wird sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren bis zum Jahr 2025 um 17,5 Prozent verringern. Die Zahl der 65jährigen und Älteren steigt um 6,9 Prozent an, nicht zuletzt durch die steigende Lebenserwartung und die starke Besetzung der nachrückenden Jahrgänge.

Egal, ob es an den fehlenden Geburten oder dem Wegzug aus Sachsen-Anhalt liegt. Die Folgen sind schon jetzt in Dörfern und kleinen Städten zu sehen. Ganze Geisterdörfer sind in der ohnehin dünn besiedelten Altmark zu erwarten, kleine Städte verlieren deutlich an Anziehungskraft, denn soziale, kulturelle, sportliche oder schlichtweg gesellige Möglichkeiten werden immer geringer. Die Attraktivität des Standortes sinkt und treibt auch die letzten in die Großstädte. Diese sind die einzigen, die annähernd den Bevölkerungsschwund durch Zuzug ausgleichen können. Trotzdem sagen die langfristigen Prognosen, wie die Studie der Bertelsmann-Stiftung, auch für die drei Großstädte Magdeburg, Halle und Dessau den Verlust des Großstadtcharakters voraus.

Städte und Wirtschaft
Die komplexen demographischen Prozesse haben natürlich großen Einfluss auf die urbane Entwicklung der Städte. Man muss dabei unterscheiden, ob der Wegzug aus einer Stadt lediglich dazu führt, sich in den umliegenden „Speckgürteln“ niederzulassen, oder ob der Wegzug generell an einen völlig anderen Ort oder in ein anderes Bundesland erfolgt. Die Untersuchung dieser Prozesse für Dessau, Magdeburg und Halle zeigte, dass Schrumpfungsprozesse regional sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Die so genannte Suburbanisierung, also das Niederlassen nach Wegzug in der näheren Umgebung, ist nochmals nach Bevölkerungszahl und Fläche unterscheidbar.

Während in Dessau „Suburbanisierung“ innerhalb der Stadtgrenzen verläuft, setzen in Magdeburg und Halle Prozesse der Regionalisierung der Stadt und damit Wachstumsprozesse in der Fläche trotz rückgängiger Bevölkerungszahlen ein. Ein erheblicher Anteil der Abwanderungen ist in Magdeburg und Halle regional ausgerichtet. Damit bleiben Arbeitskräfte und Konsumenten den Städten in ihrem regionalen Umfeld erhalten. Auch die Gewerbesuburbanisierung stärkt die Wirtschaftskraft der Region. In Dessau findet hingegen eine Schrumpfung in der Fläche und hinsichtlich der Bevölkerung statt. Vor allem junge Arbeitskräfte wandern dort ab.

Die Entwicklung in Magdeburg ist vergleichsweise am günstigsten, da hier die Wohnsuburbanisierung sehr hoch ist und die arbeitsmarktbedingte Migration relativ niedrig. Dies entspricht auch den günstigeren ökonomischen Entwicklungspotenzialen, die Magdeburg im Vergleich zu Dessau und auch Halle aufweist
In Halle sind 46 Prozent  und in Magdeburg 58 Prozent des Bevölkerungsrückgangs auf Abwanderung durch Suburbanisierung zurückzuführen, in Dessau dagegen nur zehn Prozent. So sind im Umland von Magdeburg und Halle auch Orte mit einem erheblichen Bevölkerungswachstum zu finden, wie der Saalkreis oder Merseburg/Querfurt bei Halle und der Ohrekreis oder der Bördekreis bei Magdeburg.
In Magdeburg betrug der Bevölkerungsverlust 2001 nur noch 0,7 Prozent. Laut einer Untersuchung der bundesdeutschen Wirtschaftsinstitute ist Dessau-Bitterfeld-Halle eine der ostdeutschen Regionen, die im Zeitraum von 1996 bis 2000 einen kontinuierlichen Produktivitätszuwachs aufweisen. Dieser Zuwachs schlägt sich allerdings nicht in einem Wachstum an Beschäftigung nieder. Magdeburg liegt bei den Produktivitätszuwächsen an vorderster Stelle in Ostdeutschland. Es ist auch die ostdeutsche Stadt, die das höchste Gewerbesteueraufkommen erzielt. Die Magdeburger Region, ebenso wie die Region um Dessau, schneiden sogar besser ab als Leipzig und der westsächsische Raum oder Chemnitz. Produktivitätszuwächse bedeuten aber nicht automatisch Bevölkerungszuwächse. Im Gegenteil. Höhere Produktivität durch neue Maschinen oder Roboter bringt stattdessen sinkende Bevölkerungszahlen wegen sinkender Zahl an Arbeitsplätzen.

 

Politik und Demographie
Politische Entscheidungen vermögen nicht nur demographische Prozesse zu beeinflussen, sondern sie sind häufig sogar ein Bestandteil. Dazu ein Beispiel. Es scheint beschlossene Sache, aus der Bundeswehr eine Berufsarmee zu machen. Was bedeutet das konkret. In der eingangs beschriebenen Situation der sinkenden Zahl von Schulabgängern taucht eine solche Berufsarmee nun plötzlich als Konkurrent auf. Auch hier braucht man junge Leute. Die stehen nicht, wie bisher, nach gut einem Jahr der Wirtschaft wieder zu Verfügung, sondern sie werden dem Arbeitsmarkt entzogen. Im Wettbewerb um kluge Köpfe kann eine Berufsarmee mit unvergleichlich besseren Konditionen gut punkten. Das Nachsehen wird die Wirtschaft haben.

Die demographische Entwicklung stellt unsere Gesellschaft vor Herausforderungen, wie sie noch nie da waren. Der erste Schritt, das Problembewusstsein, beginnt sich gerade zu entwickeln. Erste Schritte einer Gegenstrategie werden skizziert, wirken aber oft noch recht hilflos. Die kommenden Jahre werden das radikal verändern. Jeder ist gut beraten, sich bereits jetzt auf drastische Veränderungen aller Lebensbereiche einzustellen und diese Veränderungen positiv zu beeinflussen. Dann kann aus der Demographie-Falle vielleicht sogar eine Chance erwachsen.