Der Versicherte muss Herr über seine Daten bleiben

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Jens Hennicke, Leiter der TK-Landesvertretung Sachsen-Anhalt
Foto: TK

Die elektronische Gesundheitskarte für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen kommt seit Jahren nicht richtig voran. Trotz vieler Millionen Euro ist im Grunde lediglich eine Chipkarte mit Lichtbild herausgekommen.
Die Techniker Krankenkasse will nun als wichtigen Schritt in der Digitalisierung des Gesundheitssystems die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte vorantreiben.

aspekt sprach darüber mit Jens Hennicke, Leiter der TK-Landesvertretung Sachsen-Anhalt.

aspekt: Ist die elektronische Gesundheitsakte die Antwort der TK auf die schleppende Umsetzung  der einst gepriesenen elektronischen Gesundheitskarte?

Jens Hennicke: Ich würde es anders formulieren. Die TK sieht sich als Schrittmacher der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Priorität besitzt für uns immer die bestmögliche medizinische Versorgung unserer Versicherten. Um dieses hohe Ziel dauerhaft zu erreichen, stellen wir uns selbst und unsere Angebote immer wieder auf den Prüfstand. Und wer heute zeitgemäß sein will, kommt an der Digitalisierung nicht vorbei.

aspekt: Die TK betritt in Sachen Digitalisierung kein unbekanntes Feld

Jens Hennicke: Nein, wir haben in der zurückliegenden Zeit auch in dieser Hinsicht einiges auf den Weg gebracht, aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte.

aspekt: Das heißt?

Jens Hennicke: Da ist beispielsweise die TK-App, die unseren Versicherten seit kurzem kostenfrei zur Verfügung steht, und die ständig um neue Funktionen erweitert und verbessert wird. Das ist ein wichtiger Schritt, denn jeder zweite unserer Versicherten nutzt heute bereits das Smartphone, Anträge zu stellen oder Informationen rund um das Versicherungsangebot der TK zu erhalten.

aspekt: Woher wissen Sie das?

Jens Hennicke: Wir führen fortlaufend Befragungen unter unseren Versicherten durch, um beispielsweise in Erfahrung zu bringen, was sie sich als Verbesserungen wünschen, welche Angebote sie digital als Erleichterung empfinden würden, aber auch, welche Informationen und Tipps sie auf einer App vorfinden möchten.

aspekt: Und was wünschen sich die Befragten?

Jens Hennicke: Das ist ein ganzes Bündel von Vorschlägen, die wir zum Teil bereits umgesetzt haben oder die sich in der entwickelnden App demnächst finden werden. So können unsere Versicherten über die App beispielsweise Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unkompliziert und sicher digital an uns an uns übermitteln oder persönliche Daten ändern.
Weitere digitale Angebote für unsere Versicherten sind beispielsweise verschiedene Gesundheits-Apps und Online-Coaches. Erwähnen möchte ich hier beispielsweise die Migräne-App, die Allergie-App Husteblume, die Tinnitus-App, die Diabetes Tagebuch-App oder den TK Depressions-Coach.
Viele unserer Versicherten möchten zudem ihre Gesundheitsdaten – wie beispielsweise aktuelle Röntgenbilder oder Laborbefunde – zentral an einem Ort zusammengeführt und gespeichert haben. Das könnte eine elektronische Gesundheitsakte leisten. Die TK plädiert dafür, dass Krankenkassen generell dazu verpflichtet sein sollten, ihren Versicherten eine solche Akte anzubieten.

aspekt: Das ist ja in der Tat eine völlig neue Qualität gegenüber der elektronischen Gesundheitskarte…

Jens Hennicke: Richtig. Die Idee der elektronischen Gesundheitskarte stammt aus dem Jahr 2003. Das sind 14 Jahre, in denen sich die technischen Möglichkeiten ebenso wie die Anforderungen der Versicherten an die Leistungen einer Krankenkasse enorm gewandelt haben. Vieles von dem, was wir heute anbieten, war damals noch nicht einmal bekannt.
Die TK sieht sich aber als Vorreiter. Deshalb preschen wir mit der elektronischen Gesundheitsakte vor, die so viele Möglichkeiten und Erleichterungen bietet, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann.
Sie könnte unter anderem auch speichern, welche Medikamente in welcher Dosierung eingenommen werden. Daraus wiederum ergibt sich die Möglichkeit, zu prüfen ob sich die Wirkungen mehrerer Präparate untereinander nicht aufheben oder gar gefährlich sind. Ganz zu schweigen von Befunden, den bereits erwähnten Röntgenbildern und anderen Dokumenten. Hat der Patient diese gespeichert und kann sie einem weiterbehandelnden Arzt zugänglich machen, so ließen sich für den Versicherten belastende Doppeluntersuchungen vermeiden. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, die medizinische Versorgung zu verbessern und damit Effizienz und Transparenz im Gesundheitswesen zu steigern.

aspekt: Man hört ihre Begeisterung für die digitalen Möglichkeiten heraus. Haben Sie gar keine Angst, dass bei der Vielzahl von Daten auch Missbrauch möglich ist?

Jens Hennicke: Das haben wir selbstverständlich bedacht. Deshalb sind uns zwei Punkte besonders wichtig. Oberste Priorität muss die Datensicherheit haben. Der Versicherte ist Herr über seine Daten! Mit anderen Worten: Jeder TK-Versicherte bestimmt, welche Daten in welchem Umfang gespeichert werden und welche nicht. Dem Versicherten allein muss es obliegen, darüber zu entscheiden, welche Informationen von wem einsehbar sind.
Damit wollen wir auch denjenigen die Angst nehmen, die befürchten, dass vielleicht die App mit ihrem Fitnessmodul Informationen über den eigenen Fitness-Zustand übermittelt. Das ist übrigens auch gesetzlich ausgeschlossen. Außerdem fordern wir besondere Verschlüsselungen und die Cloud-Nutzung ausschließlich von deutschen Anbietern.

aspekt: Aber die Ärzte erfahren alles?

Jens Hennicke: Das ist prinzipiell möglich, aber nur, wenn der Patient zustimmt. Auch hier plädieren wir bei der elektronischen Gesundheitsakte für die Herrschaft des Versicherten über seine Daten. Ohne Zustimmung des Patienten bleibt auch für den Arzt die elektronische Gesundheitsakte geschlossen.

aspekt: Bei solchen elektronischen Möglichkeiten drängt sich die Idee auf, dass man nicht bei jedem Anlass persönlich beim Arzt erscheinen muss?

Jens Hennicke: Das ist schon längst nicht mehr Zukunftsmusik. Die TK bietet unter anderem in Kooperation mit dem Bundesverband der Dermatologen eine Videosprechstunde an. Dabei wird man per Mausklick mit dem Hautarzt verbunden, und es können so beispielsweise Kontrolltermine durchgeführt werden.
Seit Anfang April haben niedergelassene Mediziner aus insgesamt 16 Facharztgruppen bundesweit die Möglichkeit, zu bestimmten Anlässen Videosprechstunden durchzuführen und entsprechend abzurechnen. Allein in Sachsen-Anhalt können beispielsweise rund 1400 Hausärzte sowie 155 Kinder- und Jugendärzte künftig auf diese Art und Weise mit ihren Patienten kommunizieren und so beispielsweise Operationswunden visuell kontrollieren. Diese Neuregelung, mit der die Videosprechstunde für bestimmte Arztgruppen und definierte Krankheitsbilder zur regulären Leistung der gesetzlichen Krankenkassen geworden ist, begrüßen wir ausdrücklich.

Aus Sicht der TK können telemedizinische Leistungen wie die Videosprechstunde besonders in ländlichen Regionen, in denen die Wege zum Arzt länger sind, die ärztliche Versorgung ergänzen. Bei vielen Symptomen ist aber weiterhin der reale Praxisbesuch unverzichtbar. Allerdings sehen wir gerade in Sachsen-Anhalt dringenden Handlungsbedarf zur Sicherstellung leistungsfähiger Internetverbindungen. Nur mit landesweiten schnellen und stabilen Datenverbindungen haben digitale Angebote wie die Videosprechstunde eine Perspektive. Da dürfte die erst kürzlich für unser Land vom Bund zur Verfügung gestellte Fördersumme in Höhe von 113 Millionen Euro für den Breitbandausbau lediglich als einer von mehreren Schritten zu werten sein.