Deutschland – Insel der Glückseligen?

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Die deutsche Wirtschaft kann vor Kraft kaum laufen. Die Auftragsbücher in den wichtigen Branchen sind so gut gefüllt, wie seit Jahren nicht mehr, die Aktienkurse zeigen unaufhörlich nach oben, der Euro steigt und steigt. Doch rings um die Insel der Glückseligen herrschen Jammern und Zittern.
Wer selbst auf der Woge des Erfolges getragen wird, fragt nicht gern nach Gründen und Ursachen, vergisst schnell die kritische Selbstanalyse. So ist der Blick auf die übrigen Mitglieder der Wertegemeinschaft Europäische Union entweder durch Schreckensmeldungen geprägt, oder aber durch den Stolz auf die eigene Leistung. Und die soll in der Tat nicht geschmälert werden, wenngleich einige Fragen in diesem Zusammenhang gestellt werden müssen.
Eine dieser Fragen ist, ob die wirtschaftliche Stärke der Deutschen und nicht mal einer Handvoll weiterer Staaten der Europäischen Gemeinschaft, nicht der Schwäche der übrigen rund 20 Gemeinschaftsmitglieder zu verdanken ist. Staaten wie Griechenland, Spanien, Italien oder Portugal haben erhebliche Probleme, auch Frankreich ist davon nicht ausgenommen.



Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Wachstumsstaaten, und das sind nun mal vor allem China, Indien oder Brasilien, ihre Aufträge vor allem in sichere Staaten vergeben.
Betrachtet man die Struktur der Exporte, dann sieht man schnell, dass nicht Nordamerika oder die anderen europäischen Staaten Treibstoff für das Wachstum in Deutschland liefern, sondern die sogenannten Schwellenländer. Der Mischkonzern Linde beispielsweise macht 90 Prozent seines Umsatzes im Ausland. Die Automobilindustrie ist glücklich, wie Volkswagen mit Steigerungsraten von annähernd 40 Prozent in China aufwarten zu können. Den anderen deutschen Automobilkonzernen, wie Mercedes Benz oder BMW, geht es nicht anders. Es muss die Frage erlaubt sein, wo die Automobilbauer stünden, wenn es nicht den Boommarkt China gäbe. Bei den Maschinenbauern und auch in der Chemieindustrie ist das Bild kaum anders. Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Export im Vorjahr erstmals den Wert von einer Billion Euro überschritten und den Anteil am Weltexport von neun auf 9,5 Prozent überschritten.

Fazit: Das Wachstum wird vor allem von Schwellenländern getragen, deren Aufträge sich auf wenige europäische Produzenten verteilen. Die Folge: In der Europäischen Union gibt es Gewinner und Verlierer der nach wie vor nicht ausgestandenen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Europäische Union hatte aber mal eine Idee, zumindest einen gemeinsamen Wert, nämlich ein gemeinsamer starker Wirtschaftsraum als Gegenpart der Nordamerikaner zu sein. Davon ist nichts mehr zu hören und schon gar nicht zu spüren.

Die USA sind nach wie vor die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt, aber mit Blessuren, die vor einigen Jahren nicht mal zu ahnen waren. Dazu gehören vor allem der Dollar als Leitwährung und die unvorstellbaren Staatsschulden, mit denen Barack Obama zu kämpfen hat. Die Zahlen sind je nach politischem Hintergrund sehr unterschiedlich. Tatsache ist jedoch, dass die USA allein im laufenden Haushaltsjahr bis zu 1,65 Billionen Dollar neue Schulden anhäufen werden. Das entspricht in etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die politische Situation macht es nicht sehr wahrscheinlich, dass in einer nationalen Kraftanstrengung das Ruder herumgerissen werden kann. Der Gesamtschuldenstand Nordamerikas beläuft sich nach seriösen Schätzungen auf 14,2 Billionen Dollar. Das ist seit 50 Jahren der höchste Schuldenstand der Amerikaner. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass mit der Amtsübergabe von Bill Clinton 2001 an George W. Bush ein ausgeglichener Haushalt, ja ein leichter Haushaltsüberschuss, mit übergeben wurde. Das ist genau zehn Jahre her.
Die Folge der aktuellen Schulden war ein Warnschuss der Ratingagentur Standard & Poor´s für die Kreditwürdigkeit der USA, die zwar weiter das Triple A als Bestnote erhielt, allerdings bei der Bewertung des Trends von „stabil“ auf „negativ“ drehte. Das hat die Finanzwirtschaft auf der ganzen Welt ziemlich durcheinander gebracht und erklärt auch die Stabilität des Euro trotz der Finanzkrise der europäischen Staaten.

Fazit: Die Schwäche der USA, die als wichtiger Handelspartner der EU durch die Schwellenländer kompensiert wird, kommt vor allem den EU-Staaten zu Gute, die von einem starken Euro partizipieren. Da liegt Deutschland ganz vorn.

Die Währungsprobleme haben noch weitere Auswirkungen. Anleger überall in der Welt wissen, dass die Unmengen an Geld, die jeden Tag um den Globus kreisen, keinen Hintergrund an Realwerten haben. Folglich ist die Suche nach Realwerten in Krisenzeiten ganz wichtig. Solche Realwerte sind beispielsweise Aktien. Aktien sind Miteigentumsanteile, also Anteile an Realwerten. Nur so ist zu erklären, dass trotz eines ringsum existierenden wirtschaftlichen Horrorszenarios die Kurse der Börse fast nur eine Richtung kennen. Selbst Katastrophen wie in Japan, einer der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt mit Schlüsselproduktionen in der Mikroelektronik und der Automobilindustrie, bringen die Börsen kaum ins Trudeln. Oder: Anfang des Jahres lag der Preis für die Feinunze Gold bei rund 1000 Dollar. Wer da „einsteigen“ wollte, wurde müde belächelt, denn man war sich einig, dass das „Ende der Fahnenstange“ erreicht sei. Nun könne es nur noch abwärts gehen. Doch weit gefehlt. Ende April 2011 lag der Goldpreis bei 1500 Dollar. Und vom „Ende der Fahnenstange“ ist schon lange nicht mehr die Rede.

Fazit: Bei der Flucht in Realwerte profitieren vor allem die wirtschaftlich stabilen Staaten mit einem funktionierenden Produktionsportfolio. Das ist auch der Grund, weshalb Deutschland so an der Rettung des Euro hängt und alles tut, um die Finanzwirtschaft zu retten. Diese ist nämlich systemrelevant und damit staatstragend. Nur so kann Deutschland aus den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise noch einen Vorteil ziehen, wenngleich zu Lasten der meisten übrigen EU-Staaten. Rette den Euro bei Strafe des Untergangs, heißt die Devise.

Die Rohstoffpreise sind angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen und afrikanischen Raum in ungeahnte Höhen entschwunden. Der Ölpreis hat sich auf einem Niveau eingependelt, das vor Jahren noch Panik ausgelöst hätte. Hinzu kommen Beschränkungen bei „Seltenen Erden“, also Rohstoffen, die vor allem in der Mikroelektronik, aber auch Gebrauchsgegenständen unverzichtbar sind. Da Rohstoffe praktisch ausschließlich auf Dollar-Basis gehandelt werden, ist ein starker Euro im Verhältnis zum Dollar da sehr vorteilhaft, wenngleich damit die Exporte von Fertigerzeugnissen teurer werden.

Fazit: Lediglich die Beschränkung an notwendigen Rohstoffen bedroht die Wirtschaft der prosperierenden Kernländer der Europäischen Union, allen voran Deutschlands. Alle anderen widrigen Umstände, ja sogar die Finanzkrise und Naturkatastrophen, haben insbesondere für Deutschland einen Nachfrageschub erzeugt, der die Erfolgswelle ausgelöst hat. Tatsache ist aber auch, dass viele andere europäische Staaten dies mit Misstrauen sehen und fürchten, von den Starken an die Wand gedrückt zu werden. Eine europäische Gegenbewegung ist also der Preis für die zumindest zeitweilige Aufgabe des gemeinsamen europäischen Wertekanons zugunsten des eigenen Vorteils. Ob dieser Preis zu hoch ist, wird sich schon in den nächsten zehn Jahren zeigen.

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