Eine „bittere Pille“ für viele Schwerkranke

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Es heißt Sovaldi, ist ein Hepatitis-C-Medikament und deutlich teurer als Gold. Wirklich? Oder zockt die Pharmaindustrie die Krankenkassen, und damit alle Versicherten, schamlos ab? Die Politik versucht sich zu wehren, vorerst ohne Erfolg.
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Seit Wochen tobt um diese Pillen ein Preiskampf, der grundsätzliche Fragen aufwirft. Wie teuer darf Gesundheit eigentlich noch werden, bis das System der Krankenkassen zusammenbricht? Kann man einem schwerkranken Patienten die heilende Medizin verweigern, weil die Gemeinschaft der Versicherten sie sich nicht mehr leisten kann?
Das Medikament Sovaldi des US-Herstellers Gilead hat die Diskussion entfacht. Die ersten Apotheker, die ihren Kassenscanner über die Packung hielten, glaubten ihren Augen nicht zu trauen. 20 000 Euro in einer kleinen Schachtel, pro Pille 700 Euro. Für eine Therapie über 24 Wochen kommen 120 000 Euro zusammen. Weil Sovaldi mit weiteren Medikamenten kombiniert werden muss, kann eine 24-Wochen-Therapie schnell bis zu 200 000 Euro kosten. Damit sei Sovaldi wertvoller als Gold – und zu teuer, sagen die Krankenkassen. Das könne sich Deutschland nicht leisten.

Selbstbedienungsladen Krankenkassen

Alternative Medikamente gibt es, aber sie sind bei weitem nicht so wirksam, haben teilweise extreme Nebenwirkungen. Sovaldi wäre also für Schwerkranke ein Segen, aber ein teurer Segen.
Dazu muss man wissen: Pharmakonzerne wenden für Forschung und Entwicklung Millionensummen auf. Oft dauert es Jahre, bis tatsächlich ein wirksames Mittel gefunden ist. Dann dauert es wiederum Jahre, bis alle notwendigen Tests durchlaufen sind, das Mittel auf den Markt darf. Das alles kostet sehr viel Geld.
Dem hat die Politik Rechnung getragen, indem die Pharmakonzerne im ersten Jahr nach der Markteinführung den Preis für ihre Medikamente frei bestimmen dürfen. Das sollte der Anreiz sein, dass man sucht und forscht, vor teuren Innovationen nicht zurückschreckt. Doch dieser Anreiz hat sich ins Gegenteil verkehrt. Zum einen sucht man nur noch nach Mitteln, die von möglichst vielen Kranken benötigt werden, damit sich in dem einen Jahr das Geschäft auch lohnt. Seltene Krankheiten bringen nicht genug Geld. Zum anderen ist damit die Tür zu einer Art Selbstbedienungsladen geöffnet, denn in den ersten zwölf Monaten soll natürlich auch noch der Profit maximiert werden.
Nach Ablauf des Jahres können dann die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Apotheker mit den Pharmariesen über neue Preise verhandeln. Verhandeln heißt nicht auotmatisch, dass dann wirklich marktgerechte Preise herauskommen. Meist ist der Nachweis über Forschungsaufwendungen und Grad der wirklichen Innovation gegenüber bereits bestehenden Medikamenten nicht einfach zu führen. Erst wenn der Patentschutz abgelaufen ist, kann dann auch von anderen Firmen der Wirkstoff „nachgebaut“ werden, so dass deutlich billigere Generika angeboten werden können.
Doch Sovaldi ist ganz neu auf dem Markt, und ein Preis in dieser Größenordnung ist ebenfalls noch nie vorgekommen. Nun befürchtet die Politik Nachahmer. Akzeptiert man solche Unsummen, dann ist abzusehen, wann der nächste Pharmariese mit einem „Mondpreis“ aufwartet. Akzeptiert man ihn nicht, gerät man in eine ethische Falle, denn ein Kranker hat natürlich ein Anrecht darauf bestmöglich behandelt zu werden. Es bewahrheitet sich ein uralter DEFA-Film aus DDR-Zeiten mit dem Titel „Weil du arm bis, musst du früher sterben“.

Gesundheit ist eine Frage des Reichtums

In Interviews erklärte Hans Reiser, medizinischer Leiter beim US-Hersteller Gilead, der Preis einer Pille hänge selbstverständlich vom Reichtum eines Landes ab. Und vom Bruttoinlandsprodukt. Ein weiterer Faktor sei, wie stark ein Land von der Krankheit betroffen ist. Das klingt zynisch.
Hepatitis C ist eine chronische Krankheit. Auf lange Sicht führt sie bei vielen Patienten zu schweren Leberschäden, Leberzirrhose oder Leberkrebs. In Deutschland sind rund 500 000 Menschen betroffen. Bisherige Medikamente halfen nur wenigen, oft mit erheblichen Nebenwirkungen, wie Depressionen, Schlaflosigkeit oder Magenschäden. Bis zu 300 000 Kranke in Deutschland könnten mit Sovaldi therapiert und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch geheilt werden. Sie tragen den Typ des Hepatitis-C-Virus in sich, der mit der Pille behandelt werden kann. Starke Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Doch wegen der Kostendebatte verschreiben Ärzte die neue Pille derzeit nur zögerlich, aus Angst, die Kassen würden sie in Regress nehmen.

Ein Schiedsgericht muss nun entscheiden

Was kann man tun? Der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, forderte, dass der nach einem Jahr zwischen Kassen und Herstellern ausgehandelte Erstattungsbetrag künftig rückwirkend ab dem ersten Tag gilt: „So bekommen wir faire Preise auch für Innovationen“. Doch die Pharma-Lobby wehr sich mit Händen und Füßen. Die Preisverhandlungen zwischen dem Hersteller und Kassen sind erst einmal gescheitert. Nun soll eine Schiedsstelle eine Entscheidung herbeiführen. Durch die Verhandlungen nach einem Jahr sparen die Kassen jährlich mindestens 450 Millionen ein. Würden die Preise rückwirkend ab dem ersten Tag gelten, wäre es ein Drittel mehr, erläuterte Stackelberg. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller wiederum warnte davor, die Preise für Medikamente weiter zu drücken. „Die Refinanzierung der hohen Aufwendungen für Arzneimittelforschung in Deutschland ist nicht mehr gewährleistet, wenn die Preise für neue Medikamente hierzulande unter den europäischen Durchschnitt sinken“, erklärte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer gegenüber dpa. „Mittlerweile liegen 82 Prozent der deutschen Preise für neue Arzneimittel unter dem europäischen Mittel, 38 Prozent sind sogar die niedrigsten in Europa.“
Das sieht der Spitzenverband der Krankenkassen ganz anders. Er wies darauf hin, dass Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel im vergangenen Jahr um knapp zehn Prozent gestiegen seien. Was die Krankenkassen ebenfalls stört: Derzeit wird das Preis- und Produktverzeichnis von Arzneimitteln durch eine privatrechtliche Gesellschaft der Pharmaindustrie und des Apothekenverbandes organisiert. Die Preis- und Produktinformationen ändern sich zweimal im Monat. Während die Apothekensoftware darauf ausgerichtet sei, aktualisiere sich die Praxissoftware der Ärzte in der Regel nur einmal im Quartal. Im Klartext heißt das, dass der Arzt nur selten aktuelle Informationen hat, ob ein Arzneimittel verfügbar ist, welche neuen Produkte gelistet sind oder ob es Änderungen bei Festbeträgen und Rabattverträgen gibt.
Die Kassen hatten die Chancen auf eine Einigung zuletzt skeptisch bewertet – und damit Recht behalten. Nun soll die die Schiedsstelle entscheiden. Stichtag dafür ist der 17. April.