Türkei will Landwirtschaftsstandort Nr. 1 werden

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Die Landwirtschaft in der Türkei ist bei der umfangreichen Berichterstattung über die politischen Vorgänge in diesem Land kaum ein Thema. Wegen der großen Bedeutung dieses Landes auch auf diesem Gebiet hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft die Politik aufgefordert, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründen und Entwicklungen in der Türkei noch mehr Beachtung zu schenken.

Ein kurdischer Schäfer im Kesis-Tal im türkischen Ostanatolien bei der Schafschur.  Foto: dpa/akg-images
Ein kurdischer Schäfer im Kesis-Tal im türkischen Ostanatolien bei der Schafschur.
Foto: dpa/akg-images

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft betrachte die Bauern in anderen Ländern nicht als Konkurrenten, sondern als Berufskollegen. Deshalb müsse die besondere Bedeutung der türkischen Bauern, die immerhin Viertel der Bevölkerung und der Wähler in der Türkei ausmachten, in der Agrarpolitik eine Rolle spielen.
Die Landwirtschaft der Türkei, immerhin der weltweit siebtgrößte Agrarproduzent (mit Schwerpunkten bei Getreide, Zucker, Milch, Tabak, Nüssen, Trockenobst, Zitrusfrüchten , Baumwolle und Oliven) und Exporteur von Agrarprodukten nach Osteuropa, Nahost (Irak) und Nordafrika, ist von kleinbäuerlichen Betrieben geprägt. Viele davon, so die Arbeitsgemeinschaft mit Verweis auf Medienberichte, seien mittlerweile hochverschuldet und fühlten sich im Stich gelassen. Die Landflucht nehme zu, die in die Städte abgewanderten ehemaligen Bauern machten dort einen Großteil der Arbeitslosen aus.
Dies sei auch eine Folge des Vordringens agrarindustrieller Groß-Strukturen. Unter anderem hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Privatisierungen von Staatsbetrieben, mit Subventionsstreichungen und verstärkten Billigimporten von Fleisch, Lebendvieh und anderen Agrarprodukten massiv Einfluss genommen.
Diese Importe und damit die Abhängigkeit der inflationsanfälligen Lira vom Wechselkurs ausländischer Währungen, so die Analyse des Deutsch-Türkischen Journals, führten zu heftigen Preisschwankungen. Der Fleischimport schade den bäuerlichen Betrieben zusätzlich, weil die Importe über das staatliche Fleisch- und Milchunternehmen ETK liefen, das – im Gegensatz zu privaten Importeuren – keine Zölle abführen müsse.
„Nur Industrielle und die ETK profitieren von alldem. Sie sagen, dass sie auch kleine Geschäftsleute unterstutzen wollen, aber das tun sie nicht“, so der Vorsitzende des türkischen Fleischerverbands TKF. Einem jüngsten Regierungsbeschluss zufolge ist bis Ende 2016 der Import von 570 000 lebenden Tieren geplant, staatseigene Betriebe sollen steuerfrei 400 000 Rinder zur Schlachtung, 150 000 zu Zuchtzwecken sowie 20 000 Schafe und Ziegen einführen.
Die Verdrängung bäuerlicher Strukturen wurde auch beschleunigt durch ein Kreditprogramm der Türkischen Landwirtschaftlichen Bank, die im Jahre 2010 Milchproduzenten und Rinderhaltern langfristige Darlehen zu einem Zinssatz von Null Prozent anbot, wodurch große Milcherzeugungs- und Verarbeitungsbetriebe entstanden. Ein Großteil der Milch wird zu Weltmarktpreisen als UHT-Milch nach Europa, in die USA und in den Mittleren Osten exportiert, sofern diese Märkte (wie im Fall Irak) nicht wegfielen. Unter dem Einfluss der geförderten Milchüberschüsse, so die Fachzeitung Schweizer Bauer, verfielen die türkischen Erzeugerpreise. Der türkische Milch-Erzeugerpreis soll im Mai bei umgerechnet 22 Cent betragen haben.
Die bestehenden Agrarsubventionen hat die Regierung kürzlich noch einmal erhöht, ohne dass dies die drastischen Preissteigerungen bei importiertem Diesel, Düngemitteln und Futtermitteln ausgleichen konnte.
Das Regierung lockt auf der Internetseite „Invest in Turkey“ gezielt Investoren aus der Agrarindustrie der ganzen Welt an. Dort heißt es: „Traditionell dominieren unverpackte, handgemachte Produkte den türkischen Milchproduktemarkt, das heißt, Investoren, die die Türkei und die Region mit einem Massenvertrieb erreichen möchten, steht ein riesiges Potenzial offen. Und dies beschränkt sich nicht nur auf Milchprodukte. Die Türkei möchte sich als bevorzugter Standort für regionale Zentralen und als Lieferzentrum für führende Global Player im Landwirtschaftssektor etablieren. Zur Stärkung von Investitionen im Sektor bietet das Land eine Reihe von Anreizen für potenzielle Investoren in der Agrarindustrie. Unterstützende Maßnahmen umfassen günstige behördliche Vorschriften, eine extrem günstige Steuerstruktur, qualifizierte Arbeitskräfte und zahlreiche Investitionsanreize.“
Die türkische Landwirtschaft, so die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, werde außerdem geschädigt durch die Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und kurdischen Kämpfern im Südosten der Türkei, von wo fast die Hälfte der Schafe, mehr als ein Drittel der Ziegen und knapp ein Drittel der türkischen Rinder stammten. Laut Deutsch-Türkischem Journal haben dort mittlerweile 100 000 Bauern ihre Felder und Betriebe verlassen müssen.