Tagelöhner – Erfolgstreiber des britischen Arbeitsmarktes



London. Foto: dpa
London. Foto: dpa

Wie wird die Lebens- und Arbeitswelt der Zukunft aussehen, hatte aspekt in der letzten Ausgabe gefragt. Unsere Londoner Korrespondentin  Jenniffer Laurence schrieb dazu einen Beitrag, in dem sie auf ein Arbeitsmarktphänomen auf der Insel aufmerksam macht, das in Deutschland allerdings derzeit so nicht umsetzbar ist.

 

Das Zauberwort für das durchaus robuste Wirtschaftswachstum in Großbritannien heißt, zumindest auf Arbeitgeberseite, „Zero-hours-contract“, zu deutsch „Null-Stunden-Vertrag“.

Das Verfahren ist ganz einfach. Der Arbeitswillige wartet jeden Morgen auf eine SMS. Damit erfährt er, ob und wie lange er in dem Unternehmen an diesem Tag gebraucht wird. Es kann aber auch sein, dass darin steht: „Freuen sie sich, denn heute schenken wir ihnen einen freien Tag.“ Die meisten der offiziell 700 000 so arbeitenden  Briten können darüber aber kaum lachen. Die meisten von ihnen würden lieber länger arbeiten.

 

Sie nutzen den Begriff „Day laborer“, was übersetzt Tagelöhner heißt und den Inhalt deutlich besser trifft. Viele der stundenweise Beschäftigten können mit der viel gepriesenen Flexibilität dieser Form der Arbeit nichts anfangen, denn ihnen fehlt schlicht das Geld, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Denn Stunden, die nicht gearbeitet werden, stehen natürlich auch nicht auf dem Lohnzettel. Da hilft es nicht, dass die Tagelöhner angebotene Stunden ablehnen können. Diese Freiheit ist zwar verbrieft, dürfte aber nach den Erfahrungen hier meist nur einmal genutzt werden. Wer als unzuverlässig oder nicht ständig bereit gilt, landet sehr schnell auf einer Liste von Leuten, die nur dann angefordert werden, wenn sich gar niemand anders findet.Dazu muss man wissen, dass hier in London die Lebenshaltungskosten extrem hoch sind. Das Wohnen in der Stadt kann man sich kaum noch leisten, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Monatsmiete dem HomeLet-Mietspiegel zufolge derzeit 1425 Pfund (rund 1947 Euro) beträgt.Vor diesem Hintergrund kann sich kaum jemand leisten, auf ein Pfund zu verzichten.

 

Basis der Zahl von 697 000 Beschäftigten, deren primärer Vertrag ein Null-Stunden-Vertrag ist, sind die von britischen Arbeitnehmern gemachten Angaben. Arbeitgeberbefragungen zeigen, dass es in Großbritannien inzwischen 1,8 Millionen dieser Verträge gibt, Null-Stunden-Arbeiter haben also oftmals mehrere davon. Besonders häufig kommen sie im Gaststätten- und Hotelgewerbe vor. Und ihre Zahl wächst unaufhörlich, hat sich in den letzten zwei Jahren annähernd verdoppelt. Kommen jetzt noch Rückschläge in der Wirtschaftsentwicklung durch den Brexit hinzu, muss man hier auf der Insel mit handfesten Unruhen rechnen, sagen Kenner der Szene.

 

Die Wirtschaft des Vereinigten Königreiches floriert. BIP-Wachstum von 2,6 Prozent, auch die Arbeitslosigkeit ist dramatisch zurückgegangen, von über acht Prozent auf 5,7 Prozent. Waren es 2011 fast 2,7 Millionen Menschen, die keinen Job hatten, so suchten zuletzt nur noch 1,9 Millionen Menschen nach Arbeit, zeigen die Zahlen des Nationalen Statistikamtes ONS. Hinter diesen Erfolgszahlen liegt allerdings sozialer Sprengstoff. Wenn die Zukunft des Arbeitsmarktes so aussieht, wird es noch zu erheblichen Verwerfungen kommen.