Bei so großen Gefühlen blieb der Spott wohl im Halse stecken

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Eine gewagte Inszenierung von Verdis „Aida“ zeigte die Magdeburger Oper im Oktober. Vielen gilt das Stück als d i e Oper schlechthin. Wer sich daran versucht, stößt auf viele vorgefertigte Ansichten und Meinungen. Kein Wunder also, dass es bei der Premiere stürmische Ovationen, aber auch heftige Buhrufe gab.

Kristina Kolar als Aida und Marc Heller (Mitte) als Radames debütierten beide erstmals am Magdeburger Theater in der großen Oper als Sänger von internationalem Format. Lucian Petrean gastierte in der Rolle als König von Äthiopien und Vater von Aida.
Foto: Theater Magdeburg/ Nilz Böhme

Oliver Mears, Operndirektor des Royal Opera House Covent Garden in London, zeigte sich von „Aida“-Vorbildern völlig unbeeindruckt. Er inszenierte am Magdeburger Opernhaus das Stück – übrigens das erste Mal auf dem europäischem Kontinent – recht eigenwillig.

Diese Regiearbeit polarisiert, denn Oliver Mears löst sich nicht vom ägyptischen Hintergrund der Oper, wirft allerdings vieles an exotischer Romantik des Pharaonenreiches über Bord, lässt stattdessen Sand rieseln, als Symbol dafür, dass sich alles bewegt, aber nichts dauerhaft und unverrückbar ist. Was bleibt, ist Machtstreben, Krieg, Erpressung, Gewalt, Lüge und Liebe. Erpressung und Liebe – das sind die zentralen Themen von „Aida“, aber darauf stellt der britische Regisseur nicht ab. Dabei: Das wohl am meisten hehre Gefühl, die Liebe, wird in dem Stück als Machthebel für jedwede Erpressung benutzt. Die Liebe von Aida zu ihrem Volk und ihrem Vater wird brutal von eben diesem gegen die Liebe zu Radames missbraucht, Aida erpresst Radames mit ihrer Liebe zum Verrat, die Radames liebende ägyptische Königstochter wird durch ihre Eifersucht zur Denunziantin erpresst – was immer in diesem Stück an Konflikten die Handelnden ins Dilemma treibt, es ist die Liebe und die daraus resultierende Erpressbarkeit. Und es geht immer um Macht und Krieg.

Die jüngere Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Kriegen. Insofern ist der Inszenierungsansatz durchaus logisch und nachvollziehbar, stößt aber nicht überall auf Begeisterung. Dem Briten ist die Verklärung der Macht- und Lebensverhältnisse, wie sie sich in zahllosen Inszenierungen von Verdis „Aida“ an vermutlich allen Opernhäusern der Welt manifestiert hat, offenbar zuwider. Und wenn alle Opernfreunde ungeduldig auf den grandiosen Triumphmarsch nach dem Sieg der Ägypter über die Äthiopier warten, macht Oliver Mears ihn zu einer Machtparade, wie man sie von Diktaturen während der Nazi-Herrschaft ebenso kennt, wie in der DDR und bis heute in Moskau oder Peking. Aus dem Triumphmarsch wird das, was er tatsächlich ist – eine Groteske. Da exerzieren schon mal Kindersoldaten mit Panzerfäusten, das Modell einer Atombombe rollt über die Bühne, Mädchen führen akrobatische Übungen wie beim Turn- und Sportfest aus oder Fässer mit Chemiekampfstoffen werden von Soldaten in Phantasieuniformen bewegt.

Radames, der siegreiche Feldherr, der die ägyptische Königstochter heiraten soll, aber deren Sklavin und geheime äthiopische Königstochter liebt, erhält einen Marschallsstab, der fatal an die Zeit der Naziherrschaft erinnert.

Doch das alles kann der genialen Verdischen Musik nichts anhaben. Die wichtigen Rollen der Sängerinnen und Sänger sind hervorragend besetzt. Allen voran besticht die kroatische Sopranistin Kristina Kolar, die in der Titelrolle der Aida ihr Debüt in Magdeburg feiert, mit einer glasklaren und äußerst kraftvollen stimmlichen Präsenz, die das Publikum regelmäßig zu Szenenapplaus hinreißt. Sie überzeugt darüber hinaus auch durch die darstellerische Leistung und die einfühlsamen Passagen der leisen Töne. Kristina Kolar ist eine wunderbare Entdeckung für das Magdeburger Opernhaus. Das gilt auch für Marc Heller, dem US-amerikanischen Tenor in der Rolle des Radames. Er ist an allen großen Opernhäusern von New York bis Moskau zu Hause, war zuletzt als Radames bei einer Live-Übertragung an den Pyramiden von Gizeh der Royal Albert Hall in London präsent. Vor gut zehn Jahren gab er sein Debüt an der Seite von Placido Domingo in der New Yorker Met, nun vor einem begeisterten Publikum in Magdeburg.

Von der Öffentlichkeit zu Unrecht kaum bemerkt, hat sich das Stadttheater Magdeburg zu einem Theaterort entwickelt, der sich weder von den Namen der Protagonisten, noch von der Qualität der Inszenierungen hinter großen Häusern national und international verstecken muss. Im Gegenteil. Es wird höchste Zeit, dass dies auch mal entsprechend wahrgenommen wird.

Diese Sänger der Sonderklasse motivieren auch die Künstler des Opernensembles zu Höchstleistungen, wie den Bass Paul Sketris als König, die Mezzosopranistin Lucia Cervoni als Amneris, den Bass und Liebling des Magdeburger Publikums Johannes Stermann als Priester Ramphis oder als Gast des Ensembles den Bariton Lucian Petrean in der Rolle des Amonasro als König von Äthiopien und Aidas Vater. Sie alle brillieren vor allem im zweiten Teil des Opernabends.

Hier hat der britische Regisseur völlig auf inhaltliche Interpretationen verzichtet und eine emotional höchst anspruchsvolle, ergreifende und dramatische Szenerie geschaffen. Die war ganz dicht am klassischen Libretto und versöhnte offenbar die Zuschauer, die ihre vorgeprägten Erwartungen erfüllt sehen wollten. Was ihn zu diesem Schwenk bewegt hat, bleibt wohl sein Geheimnis. Vielleicht war es der Respekt vor den großen Liebes-Arien und Duetten bis zum Tod von Radames und Aida, die sich zu ihm in die Gruft geschlichen hat, bevor diese sich für beide bei lebendigem Leibe schließt. Man darf spekulieren, dass dem Regisseur angesichts so großer Gefühle wohl der Spott im Halse steckengeblieben ist.

Verdi ohne große Choreinsätze ist undenkbar. Der Opernchor des Theaters Magdeburg unter der Leitung von Martin Wagner ist eine Klasse für sich. In der „Aida“ beweisen das die Chormitglieder, die auch sehr viele darstellerische Aufgaben höchst professionell erledigen, erneut. Vor allem im Zusammenspiel mit den Solisten gibt es eine sehr sensible Abstimmung.

Das gilt übrigens auch für Svetoslav Borisov, 1. Kapellmeister am Theater Magdeburg, der als musikalischer Leiter den Taktstock schwingt und die Musiker der Magdeburgischen Philharmonie sowohl in den großen pathetischen Märschen mit Fanfarenklang, als auch in den ganz behutsam-leisen Tönen der Arien und Duette höchst einfühlsam führt.