Wer auch immer seine Kinder mit einem unvergesslichen Erlebnis an das Theater heranführen will, oder selbst bereit ist, in eine märchenhafte Phantasiewelt einzutauchen, der muss das Musical „Der Zauberer von Oz“ im Magdeburger Opernhaus unbedingt erlebt haben. Hier ist alles möglich, und noch viel mehr.
Magdeburg und Musical – das scheint ein Erfolgsrezept zu sein. Erinnert man sich an die jüngsten furiosen Inszenierungen, dann schien es kaum möglich, diese Erfolge zu übertreffen. Aber weit gefehlt. „Der Zauberer von Oz“ in der Regie von Thomas-Schmidt Ehrenberg hat die hoch gesteckten Erwartungen mit einer unglaublichen Ideenvielfalt, Musical-Stars der Sonderklasse, einem enormen Aufgebot von Künstlern aller Sparten des Hauses, tollen Kostümen voller Phantasie sowie einer höchst facettenreichen und überraschenden Bühne nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen. Chapeau!
Das Märchen „Der Zauberer von Oz“ des Autors Lyman Frank Baum ist für die Amerikaner das, was uns „Hänsel und Gretel“ und „Rotkäppchen“ bedeuten. Jedes Kind kennt diese Geschichten, ist mit ihnen groß geworden. Vor knapp 120 Jahren schrieb Baum den „Zauberer von Oz“, weil ihm die europäischen Märchen nicht modern genug waren. Und obwohl ihn von Kritikern heftiger Gegenwind umwehte, eroberte das Buch sehr schnell die Herzen seiner kleinen und großen Leser. Die Geschichten aus dem Zauberland Oz eignen sich bestens für eine musikalische Umsetzung. Die folgte dann auch sehr schnell als Revue mit einem Riesenerfolg in Amerika über mehr als zehn Jahre. Dann verdrängte der Film den Stoff von der Bühne, auf die er erst 1942 in vielen Versionen, als Musical, als Theaterstück oder Ballett zurückfand. 1987 gab die Royal Shakespeare Company eine Version in Auftrag, die auch die Grundlage für die Magdeburger Inszenierung bildet.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Dorothy Gale, ein Mädchen im tristen Kansas auf einer nicht minder tristen Farm, ohne Freunde und mit Problemen in der Schule. Die Musical-Darstellerin Inga Krischke singt als Gast die Partie. Erst vor zwei Jahren hat sie die renommierte Folkwang-Universität der Künste in Essen absolviert, sich aber bereits in zahlreichen Musical-Inszenierungen einen Namen gemacht. Drangsaliert wird Dorothy von ihrer Lehrerin Miss Gulch, die mit der Phantasie des Mädchens nichts anfangen kann. Peter Wittig, Urgestein des Magdeburger Schauspielensembles und mit seiner unvergleichlichen Spielfreude aus keinem Musical wegzudenken, schlüpft in die Frauenkleider dieser Figur und spielt später nicht minder fulminant die böse Hexe des Westens auf einem feuerspeienden Segway.
Nachdem das Mädchen durch einen Wirbelsturm weggeweht und in Oz, dem Land der Zwerge, wieder aufwacht, wird sie von der guten Hexe des Nordens begrüßt. Kammersängerin Undine Dreißig singt die Rolle dieser Hexe Glinda, wobei sie immer wieder aus dunklen Theaterhöhen einschwebt. Mit dabei ist eine große Gruppe von Zwergen, die tanzen, singen und die Zuschauer zu Begeisterungsrufen veranlassen. Es sind Kinder vom Opernkinderchor des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“.
Die gute Hexe Glinda zaubert der Dorothy rote Schuhe an die Füße, die in dem Stück eine zentrale Bedeutung haben, denn sie sollen das Mädchen vor jedweder Bedrohung schützen. Das passt der bösen Hexe des Westens aber gar nicht, die diese Schuhe ebenfalls haben will. Dann macht sich Dorothy auf den Weg zum großen Zauberer von Oz.
Unterwegs trifft sie auf die Vogelscheuche, die sich nichts sehnlicher, als Verstand wünscht. Der Berliner Musicaldarsteller Christian Miebach verkörpert diese Rolle als Gast, ist gerade mal 26 Jahre alt, aber schon jetzt ein außergewöhnliches Musical-Talent. Sowohl stimmlich als auch tänzerisch ließ er keine Wünsche offen.
Dorothy und die Vogelscheuche entdecken auf ihrem Weg unter einer Straßenlaterne den Blechmann. Seit unzähligen Jahren steht er dort, festgerostet, aber mit einer Ölkanne in der Hand. Gastsänger Alexander Soehnle, ebenfalls ein außergewöhnlich präsenter Musicaldarsteller, steckt in dem scheinbar unvorteilhaften Kostüm. Sein Wunsch, nachdem er sich durch diverse Ölungen wieder geschmeidig bewegen kann, ist ein Herz, das in seiner Brust unter dem Metall schlägt.
Vervollständigt wird das Protagonisten-Quartett durch den ängstlich-zitternden Löwen, unter dessen gewaltiger Mähne sich Jan Rekeszus verbirgt, der als Musical-Darsteller dem Magdeburger Publikum bereits aus dem Open-Air-Spektakel „Hair“ auf dem Domplatz bekannt sein dürfte. Und auch er hat einen Wunsch: Mut.
Sie alle erleben in der knapp dreistündigen Aufführung unzählige Abenteuer und Überraschungen, müssen immer wieder ihre Angst überwinden, beweisen ihre Freundschaft und gehen aus einem Feuerwerk an Ideen und Gags immer wieder als die Sieger hervor. Das überaus imposante und phantasievolle Bühnenbild (Christiane Hercher mit roten Schuhen), überwältigende Kostüme (Jeannine Cleemen) und nicht zuletzt das Ballett sowie die bestens aufgestellte Magdeburgische Philharmonie unter der Leitung des Japaners Tomohiro Seyama, in dieser Spielzeit Kapellmeister am Theater Magdeburg, machten aus diesem Musical ein Familienerlebnis der Sonderklasse für jedes Alter.