„Hier stehe ich, und kann auch anders!“

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Ob sie Freunde waren, der Landgraf Philipp von Hessen und Martin Luther, darüber sind sich die Historiker nicht einig. Aber fest steht, dass Luther dem Landgrafen, der auch mit dem Zusatz „der Großmütige“ versehen war, viel zu verdanken hatte. Dass Luther aber, und nicht nur er, so weit gehen würden, die gesamte Reformation in Gefahr zu bringen, das wird gern nur ganz leise hinter vorgehaltener Hand erzählt.

 

Die Gedächtnishalle der Gedächtniskirche zu Speyer, in der sich Luther und Philipp von Hessen gegenüberstehen. Foto: metopia
Die Gedächtnishalle der Gedächtniskirche zu Speyer, in der sich Luther und Philipp von Hessen gegenüberstehen.
Foto: metopia

 

Dieser Philipp von Hessen war schon von klein auf ein Tausendsassa. Beim Tod seines Vaters noch minderjährig, regierte er zusammen mit seiner Mutter sein Land, wurde vom Kaiser mit 13 Jahren für mündig erklärt, trennte sich von seiner Mutter mit 15, weil er deren neue Heirat nicht billigte. Er hatte halt seinen eigenen Kopf. Beim Reichstag zu Worms 1521, bei dem angeblich der Satz: „Hier stehe ich und kann nicht anders“ gefallen sein soll, war er gerade mal 17 Jahre alt. Ein kluger Heißsporn mit großem Herz, und vor allem immer den hübschen Damen zugeneigt, besonders, wenn sie aus Sachsen kamen. Aber der Reihe nach.

 

Erst zögerlich war dann doch ein begeisterter Protestant. Im Bauernkrieg ließ er zwar seine beteiligten Landeskinder niedermetzeln, erwies sich dann aber doch als großzügig. Katholische Klöster auflösen, das gefiel ihm. Immerhin hat er das damit errungene Vermögen sinnvoll eingesetzt. In Marburg, seiner Geburtsstadt, entstand die erste protestantisch geprägte Universität der Welt. Sie trägt heute noch seinen Namen.

Mit 20 heiratet Philipp die 19jährige Christine von Sachsen. Das war gut für die Beziehungen zum dortigen kurfürstlichen Brüderpaar Johann von Sachsen und Friedrich dem Weisen. Diese beiden hatten intern Sachsen unter sich aufgeteilt, regierten nach außen aber einheitlich als Landesfürsten. Friedrich der Weise hatte seinen Namenszusatz nicht ohne Grund. Er wat, man würde heute sagen, ein ausgekochter Fuchs. Nach dem „Vogelfrei-Edikt“ für Luther nach seinem Auftritt beim Reichstag ließ er ihn „entführen“ und versteckte ihn auf der Wartburg.

Zur Hochzeit von Philipp von Hessen war Luther aber schon in Wittenberg, in der Residenz von Friedrich und damit weitestgehend geschützt.

 

Die Gedächtniskirche zu Speyer. Foto:metopia
Die Gedächtniskirche zu Speyer.
Foto:metopia

Wenige Jahre später, 1526, kommt Magdeburg ins Spiel. Die Stadt bekennt sich klar zum Luthertum, hat allerdings einen Erzbischof in ihren Mauern, der das gar nicht gut findet. Das macht aber den selbstbewussten Bürgern nichts aus. Die Stadt verbündet sich mit Philipp von Hessen und Johann von Sachsen in Torgau. Daraufhin lädt Johann von Sachsen weitere protestantische Fürsten nach Magdeburg ein, wo dann der Magdeburger Vertrag vom 12. Juni 1526 zum „Torgauer Bund“ geschlossen wird.

 

Bei alldem politischen Geschehen hat der potente Hesse aber nicht die schönen Frauen aus Sachsen aus dem Blickfeld verloren. Favoritin ist dabei das sächsischen Hoffräulein Margarethe von der Saale. Sie muss einen ziemlichen Einfluss auf ihren Liebhaber gehabt haben, denn der nun 35jährige Philipp will sie heiraten. Das Problem: Er hat schon eine Frau, und die lebt noch. So eine Situation war schon damals ein Problem. Nicht aber für Philipp. Er will eben eine zweite Frau heiraten. Doch Bigamie widersprach nicht nur Kirchenrecht, sondern war auch nach weltlichem Recht mit der Todesstrafe bewehrt. Martin Luther, Philipp Melanchthon und Martin Bucer waren entsetzt. Das ging gar nicht. Doch Philipp von Hessen war einer der wichtigsten Verbündeten, und der bestand auf seinem Wunsch zu einer morganatischen Ehe, einer so genannten „Trauung zu linken Hand“. Was also tun? Gute Kontakte und politischer Einfluss bewirkten bereits damals, was auch heute funktioniert: Luther und die anderen Reformatoren gaben nach. Luther nahm Philipp von Hessen allerdings das „Beichtversprechen“ ab, dass diese Sache niemals an die Öffentlichkeit gelangen dürfe. Melanchthon war bei der Hochzeit auf Schloss Rotenburg dabei. Luthers Drohung: „Wenn das jemals rauskommt, werde ich in Worms widerrufen!“

 

Aber es kam, wie es kommen musste. Die Sache wurde ruchbar. Das führte zu einer schweren Krise der Reformation und brachte Philipp politisch weitreichende Schwierigkeiten ein. Zwar fand er vorerst vor dem Kaiser Gnade, aber nur unter der Bedingung, dass es aus den unterschiedlichen Konfessionen heraus keinen weiteren Krieg gäbe. Da kannte er aber den Philipp von Hessen schlecht. Der stand kurz darauf mit an der Spitze des Schmalkaldischen Krieges gegen den Kaiser, der allerdings verloren ging. Philipp von Hessen unterwarf sich dem Kaiser, um zu retten, was noch zu retten war, wurde aber dennoch für fünf Jahre in den Niederlanden interniert.

 

In seinen letzten fünfzehn Lebensjahren kümmerte sich Philipp um die Verwaltung Hessens. Und auch hier bewies er jede Menge Fantasie. Nach dem Schmalkaldischen Krieg ging es seinem Land schlecht. Die Staatskassen waren leer. Also erfand er die Tranksteuer. Durch den Ausbau des Steuerwesens wandelte er die Landgrafschaft Hessen zum frühmodernen Finanzstaat. Steuern als neues Standbein der Staatsfinanzierung – das war die Lösung. Vor allem die Einführung einer Vermögenssteuer, die bis heute umstritten ist, geht auf sein Konto.

Luther hat nicht widerrufen, wie sollte er auch.

 

Heute, in der Gedächtnishalle der Gedächtniskirche zu Speyer, stehen sich die Denkmäler von Luther und Philipp von Hessen beinahe gegenüber. Und wenn man genau hinsieht, dann könnte man meinen, dass der Hesse ein wenig zum alten Luther zwinkert: Du hattest deine Reformation, aber ich meine zweite Frau!