Das Musical „Der kleine Horrorladen“ von Alan Menken am Magdeburger Opernhaus ist nicht jedermanns Geschmack. Entweder man mag es, dann mit vollem Herzen, oder man geht in der Pause. Aber das Fanpublikum ist riesengroß, das Stück füllt seit Jahren die Theater. Das war bei der Premiere in Magdeburg mit wahren Begeisterungsstürmen nicht anders.
Das Stück polarisiert. Während es die einen als großartiges Märchen betrachten, in dem allerdings das Gute nicht die Oberhand behält, und das außerdem bei allem grotesken Geschehen auch noch eine sozialkritische Attacke auf die unersättliche Gier der Gesellschaft nach Erfolg, Macht und Reichtum enthält, ist es für andere einfach nur Klamauk.
Und in der Tat enthält es von beidem wesentliche Elemente. Das gilt für das Stück, nicht aber für die Inszenierung. Und das ist die Krux. Kann man ein mäßiges Stück hervorragend inszenieren? Man kann. Die Magdeburger Fassung hebt sich wohltuend von den zahllosen Klischeevorstellungen ab, die allerorten in dem vielgespielten Stück zu beobachten sind. Regisseur Ulrich Wiggers – in Magdeburg auch durch die fulminante Inszenierung der Rocky Horror Show auf dem Domplatz bekannt – greift tief in die inszenatorische Werkzeugkiste und schafft durch einige inhaltliche Veränderungen gegenüber dem Original ein Musical, das trotz der Schwächen des Stoffs eine erzählbare und stellenweise sogar ergreifende Geschichte offenbart.
So bietet der Kunstgriff, alles in den Traum eines Jungen einzubetten, der sich aus Angst vor dem Zahnarzt in einen gewächshausartigen Blumenladen in New York flüchtet, die Möglichkeit, all die skurrilen Figuren, die blutsaugende fleichfressende Pflanze, die an Seilen schwebenden Soul-Mädchen in Blumengestalt, den gewalttätigen Zahnarzt und andere in freier Phantasiegestaltung unterzubringen. Sie alle gruppieren sich um den Blumenhändler Mr. Mushnik, gesungen von Markus Liske, sowie die beiden Protagonisten, der Blumenverkäuferin Audrey, hervorragend von der Musicaldarstellerin Milica Jovanović verkörpert, und Seymor Krelboum, bestens mit Jan Rekeszus besetzt. Die beiden Darsteller tragen mit ihrer sich allmählich entwickelnden Liebesgeschichte die Handlung, die von der unersättlichen Gier der fleischfressenden Pflanze bestimmt wird, die für frisches Blut Erfolg und Reichtum verspricht.
Spät, zu spät, erkennt Seymor, dass der Preis für Ruhm und das Erringen der Liebe von Audrey zu hoch ist, doch da hat die Pflanze bereits den brutalen Zahnarzt und den Blumenhändler verschlungen. Nachdem ein Marketing-Manager, der stark dem amtierenden amerikanischen Präsidenten ähnelt, Seymor ein Angebot macht, die Ableger der hungrigen Pflanze, der es letztlich um die Beherrschung der Welt geht, überall auf der Erde zu verkaufen, werden die Liebenden schließlich selbst Opfer dieser Gier. Irgendwie kommen einem augenblicklich die Gedanken, wie man die Eltern von „Hänsel und Gretel“ mit Hartz4 und die Hexe als scheinbar guttuenden Kapitalismus in einem Stück vereinen sollte. Das muss eigentlich schief gehen.
Dass es im „Horrorladen“ kein Happy End gibt, geht auf das Original des Stücks zurück und wird hier von Regisseur Wiggers wieder eingeführt. Das amerikanische Publikum wollte das Erfolgsstück, das nach seiner Uraufführung 1982 in New York lange bewusst nicht am Broadway gespielt wurde, unbedingt mit einem glücklichen Ende. Dem gaben die Autoren schließlich nach. Feigheit vor der Publikumsmeinung könnte man das nennen, oder sie waren der Pflanze aus ihrem Stück schon verfallen, mit der Gier nach Ruhm und Reichtum. Eine traurige Analogie.
Das kann man Wiggers nicht nachsagen. Er stellt das Stück in Magdeburg wieder auf die Füße, macht aus dem Märchen, in dem letztlich immer das Gute siegt, wieder ein Musical, das eben doch kein Märchen ist, sondern sich stark an der mit Fiktionen durchsetzten Realität orientiert.
Musikalisch wird der „Der kleine Horrorladen“ von einer siebenköpfigen Band unter der Leitung von Damian Omansen in Szene gesetzt, der in dieser Spielzeit neben dem „Horrorladen“ auch für das DomplatzOpenAir 2018 mit „Jesus Christ Superstar“ verantwortlich zeichnet. Noch gab es bei der Premiere hier und da ein Abstimmungsdefizit, waren die Musiker an der einen oder anderen Stelle zumindest für die billigen Plätze auf dem Rang so laut, dass die Sänger kaum zu hören waren.
Das Musical „Der kleine Horrorladen“ ist ein opulentes Ausstattungsstück. Insbesondere die gierige blutsaugende und fleischfressende Pflanze, die von der Größe einer Topfpflanze bis zur überdimensionalen menschenverschlingenden Größe im Stück wuchs, war mit Sicherheit in ihrer zentralen Funktion eine Ausstattungsherausforderung. Realisiert wurde sie von der Puppenbauerin Kerstin Dathe aus Thale und in der kleinen Form von Antonia Richter bewegt, während die große überdimensionale Form von drei Männern, Leonard Kunze, Christian Schulz und Marco Trahorsch bewältigt werden musste.
„Der kleine Horrorladen“ dürfte unbesehen für das Theater Magdeburg ein Kassenschlager werden. Zumindest das ist ein Trost.