Der Stoff der Oper „La Bohème“ von Giacomo Puccini beinhaltet alles, was man für ein so großartiges musikalisches Werk braucht – Romantik der Pariser Bohèmiens, viel Liebe, fröhliches Treiben, aber auch Eifersucht, Leid, Krankheit und Tod.
All das findet sich in gerade mal vier Bildern, vom Komponisten, dem Charakter des Sujets entsprechend, mit großem Gewicht auf die musikalische Schilderung des Milieus gelegt. Harmonie spielt dabei eine wichtige Rolle, an lyrischen Höhepunkten verdichtet sich der Stil der Oper zu breit ausschwingender, echt italienischer Kantilene.
Diese Absicht Puccinis greift Generalintendantin Karen Stone des Theaters Magdeburg, die für diese Inszenierung verantwortlich zeichnete, sehr präzise auf. Außerordentlich behutsam, fast unmerklich verlegt sie das Geschehen des ursprünglichen Librettos um gut 100 Jahre in die zweite Hälfte der 1940er Jahre. Erst als Musetta, von der stimmlich wie immer brillierenden Hale Soner gesungen, mit ihrem ungeliebten Verehrer Alcindoro (Paul Sketris) auftaucht – dieser in amerikanischer Uniform – wird die Transformationsabsicht überhaupt sichtbar.
Ohnehin nimmt sich Regisseurin Karen Stone sehr zurück, überlässt viel mehr der Musik der ausgezeichnet eingestellten Magdeburgischen Philharmonie unter der Leitung des anfangs etwas eiligen Generalmusikdirektors Kimbo Ishii sowie ihren Protagonisten Elizabeth Llewellyn als Mimi und Arthur Espiritu als Rodolfo Raum und Ruhm der ganz großen Gefühle.
Die in London geborene Elizabeth Llewellyn, mit vielen bejubelten Auftritten an großen internationalen Opernhäusern und zahlreichen Preisen geehrt, war in der vorherigen Spielzeit schon in Magdeburg zu hören. Mit ihrem beeindruckenden Stimmvolumen und ihrer fulminanten Bühnenpräsenz erhielt sie immer wieder Szenenapplaus. Lediglich die zehrende, tödliche Krankheit zu verkörpern, an der Mimi schließlich stirbt, ist für die außergewöhnliche Sopranistin nur schwer vermittelbar. So gestaltet sich die ergreifende Sterbeszene, in der die blühenden Melodien des Liebesduetts aus dem ersten Akt wieder aufleben, zwar konsequent tieftraurig, aber eher unpathetisch.
Der von den Philippinen stammende US-Amerikaner und Tenor Arthur Espiritu als Rodolfo an ihrer Seite war mit seinem Rollendebüt in Magdeburg zweifellos die Entdeckung des Abends. Er eroberte die Herzen des Publikums im Sturm und machte damit dem Bariton Gocha Abuladze in der Rolle des Marcello, als Ensemblemitglied des Magdeburger Theaters ein Publikumsliebling, diesen Rang streitig. Komplettiert wurden die Bohèmiens durch den sehr guten BaritonThomas Florio als Schaunard und den wie immer bewährten Bass Martin-Jan Nijhof als Philosoph Colline.
Mit Ulrich Schulz, der in dieser Inszenierung für die Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnete, hat Karen Stone schon öfter zusammengearbeitet. Man kennt und schätzt sich. Es ist beeindruckend, wie sich aus dem kargen Künstlerquartier ein grandioses Theater im Theater entwickelt, das wiederum Platz für den immer wieder mit besonderer Leistung glänzenden Chor unter Leitung von Martin Wagner bot. Der war für die „La Bohème“-Inszenierung durch die Mitglieder der Magdeburger Singakademie und den Opernkinderchor des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“ verstärkt worden. Zusammen entstand so ein ungeheuer lebendiges, farbenfrohes Festgetümmel im 2. Bild, das sich ganz bewusst von der Kargheit des Pariser Künstlermilieus abhebt. Ein markantes Orchestermotiv mit Quintenparallelen schildert dabei das lebhafte Treiben vor dem Café Momus. Mit einem zärtlichen und raffinierten Walzer gelingt es hier Hale Soner als Musetta, ihren Marcello zurückzugewinnen. Der schwierige Balanceakt auf einem Turm aus Tischen und Stühlen symbolisiert dabei sehr geschickt die fragile Basis ihrer Gefühle und ihrer Risikobereitschaft.
„La Bohème“ als erste Opernpremiere in diesem Jahr in Magdeburg reiht sich nahtlos in die großen Erfolge dieser Spielzeit ein.