Ernährung und Treibstoff der Zukunft



In einem aus fünfhundert Kilometern Glasröhren bestehenden Photobioreaktorsystem produziert ein Unternehmen in Sachsen-Anhalt Mikroalgen für den Lebensmittelmarkt, für die Futtermittel- und die kosmetische Industrie.

Getrocknetes Seegras als Dämmstoff zeigt Jörn Hartje vom Unternehmen Seegrashandel bei einer Baumesse in Rostock. Ein Symposium beleuchtete anschließend in Boltenhagen den Umgang mit massenhaft angespülten Seegräsern und Algen an der deutschen Ostseeküste.
Fotograf: Jens Büttner/dpa

Im Nordwesten Sachsen-Anhalts, unweit der altmärkischen Kleinstadt Klötze, erfüllt das Unternehmen Roquette Klötze GmbH & Co. KG Kundenwünsche aus Europa, Asien und Amerika – mit Algen.

Algen zählen zu den ältesten Lebewesen auf der Erde. Schon vor etwa drei Milliarden Jahren „erfanden“ sie die Fotosynthese und sind auch heute noch dafür verantwortlich, dass jedes zweite Sauerstoffmolekül in unserer Atemluft von einer Alge stammt.

Die Wissenschaft kennt bislang erst etwa 30 000 bis 40 000 verschiedene Algenarten. Die Zahl der noch unbekannten Algenarten schätzen Biologen um ein Zehnfaches höher. Nach der Studie „Wie isst Deutschland 2030?“ des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestle wird die Alge schon deshalb ein fester Nahrungsbestandteil sein, weil sie ressourcenschonend angebaut werden kann.

 

Mikroalgen (mikroskopisch kleine Algen), stehen als sogenanntes Phytoplankton am Anfang der Nahrungsketten. In der direkten Nutzung durch den Menschen führten sie bislang ein Schattendasein. Das änderte sich erst zur jüngsten Jahrtausendwende. „Und an diesen Veränderungen hat unser Produktionsstandort im Norden Sachsen-Anhalts einen großen Anteil“, sagt Diplom-Biologe Jörg Ullmann, Roquette-Geschäftsführer in Klötze. Ein Projekt, das der Zeit voraus war.

 

Mikroalgen wachsen zehn- bis 30mal schneller als Landpflanzen. Sie wandeln das Kohlendioxid effizienter in Sauerstoff um als die meisten Gräser und Bäume. Diesem Umstand machte sich der Merseburger Chemiker Professor Dr. Karl-Hermann Steinberg zunutze, um in den 1990er Jahren, als Forschungsdirektor des damaligen Chemieunternehmens  Preussag AG, eine technische Lösung für das Problem des vom Menschen verursachten Klimawandels durch steigende Kohlendioxidemissionen zu finden. Damals entstand das Konzept eines in sich geschlossenen, lichtdurchlässigen Röhrensystems, durch das Mikroalgen im Wasser strömen. Sonnenlicht und CO2 ermöglichen darin die Fotosynthese, den Aufbau von Biomasse und letztlich auch die Kohlendioxid-Speicherung.  Jedoch können solche Fotobioreaktoren nicht die großen Mengen von CO2-Emmission der Kohlenkraftwerke neutralisieren. Als die Preussag AG Ende der 1990er Jahre ihr Geschäftsfeld änderte, erwarb Professor Steinberg die Lizenzen an der Technologie. Seine Idee war es, die in den Fotobioreaktoren prächtig gedeihenden Mikroalgen anderweitig zu nutzen – insbesondere für die Herstellung von Hochwertprodukten.

 

Vom CO2-Speicher zum vitaminreichen Bioprodukt 

 

In einem Glasröhrensystem erzeugt das Unternehmen Roquette Klötze GmbH & Co. KG hochreine Mikroalgen-Produkte für den Lebensmittelmarkt, für die Futtermittel- und die kosmetische Industrie.
Foto:dpa

Vor 17 Jahren entstand mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt in der Altmark die bis dahin weltgrößte geschlossene Mikroalgen-Produktionsanlage.  In einem 500 Kilometer langen Glasröhrensystem auf einer Fläche von einem 1,2 Hektar können Mikroalgen geschützt vor Verunreinigungen aus der Umwelt gedeihen und jährlich zwischen 30 und 50 Tonnen Biomasse produzieren. Die daraus erzeugbaren Bioprodukte erschienen wirtschaftlich lukrativ. Gegenüber den bereits auf den internationalen Märkten etablierten Wettbewerbern aus Asien und Amerika, die Algenprodukte bislang in offenen Anlagen – zum Beispiel Teichen – produzieren, hat die Mikroalgenkultivierung in einem geschlossenen Röhrensystem zwei wesentliche Vorteile: Einerseits können damit biologische und chemische Verunreinigungen von außen – zum Beispiel durch Insekten, Luftschadstoffe oder toxinbildende Blaualgen – ausgeschlossen werden. Andererseits können die Algen viel besser gedeihen, weil alle rundum optimal mit Sonnenlicht versorgt werden. Es gibt keine dunklen Orte, wie beispielsweise am Teichgrund.

Dennoch  erfüllten sich die hohen Erwartungen der damaligen Betreiberfirma Ökologische Produkte Altmark GmbH zunächst nicht. Die Gründe: Auf den traditionellen Märkten für Erzeugnisse aus Mikroalgen  – in Asien und in den USA – war der „Neuling aus Sachsen-Anhalt“ noch zu wenig bekannt und in Deutschland war die Zurückhaltung beim Kauf von Produkten aus Mikroalgen anfangs recht groß. „In gewisser Weise war das gesamte Konzept in vielen Dingen seiner Zeit voraus und der damalige Businessplan war einfach zu ambitioniert“, gibt Ullmann zu bedenken.

 

Neuanfang im Jahr 2004 mit neuen Investoren

 

Doch gute Ideen setzen sich langfristig durch. Es gelang Professor  Steinberg nach der Insolvenz der Betreiberfirma neue Investoren zu finden und die Anlage 2004 wieder in Betrieb zu nehmen. Seit Februar 2008 ist der Mikroalgen-Produzent aus Klötze eine hundertprozentige Tochter des französischen Familienunternehmens Roquette Fréres. Das Produktportfolio wurden deutlich erweitert, neue Prozesse und Technologien entwickelt sowie neue Firmenkooperationen und Kunden in Europa, Amerika und Asien gesucht.

„Heute produzieren wir nicht mehr nur Erzeugnisse aus Chlorella vulgaris, sondern aus bis zu 14 verschiedenen Mikroalgenarten“, sagt Geschäftsführer Ullmann.  „Wir wollen mit unseren Produkten eng bei den Kundenwünschen sein“, ergänzt er.

 

Vielfältiger Nutzen von Mikroalgen

 

Speiseeis aus Algen wird hier im Herbst letzten Jahres beim Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik e.V. (DIL) in Quakenbrück gekostet. Das Institut stellt verschiedene Lebensmittel aus Algen (Typ: Spirolina) her.
Foto: Friso Gentsch/dpa

Erzeugnisse aus Mikroalgen sind auf vielen Märkten von Interesse. „Dazu zählen neben den Nahrungsmittelergänzungen, die wir in der Eigenmarke „Algomed®“ vermarkten, auch Produkte für Kunden, die dafür ihr eigenes Label verwenden“, sagt Geschäftsführer Ullmann.

Zu den neueren, mit Mikroalgen aus Sachsen-Anhalt produzierten Life-Style-Erzeugnissen, zählt beispielsweise das Erfrischungsgetränk Helga. Im Jahr  2015 erhielt es auf der Anuga in Köln – der weltgrößten Lebensmittelmesse ¬ den „Taste 15 Award“. Aktuell wird „Helga“ zum Beispiel von der Nordsee-Fischgastronomiekette vertrieben. Auch die „Green Smoothie No.2“ von TrueFruits aus dem Kühlregal und ein Algenriegel der Firma Dr. Ritter enthalten nährstoffreiche Algen, die in der Sachsen-Anhalter Algenfabrik produziert wurden. In Entwicklung sind weitere Nahrungsmittel mit Algenzusätzen, die einen gesundheitlichen Nutzen erwarten lassen.

 

„Gefragt sind unsere Algenprodukte auch als Zusätze zu tierischen Futtermitteln und in kosmetischen Produkten“, sagt der Diplom-Biologe. Eine Hoffnung ist beispielsweise, dass bestimmte Algen den Gebrauch von Antibiotika in der Tierhaltung senken können und andere UV-schützende bzw. Anti-Aging-Eigenschaften für die Haut besitzen. Darüber hinaus könnte der Mikroalgen-Anbau zukünftig vielleicht sogar ein Come-Back bei Technologien zur Reduzierung des von Menschen verursachten Klimawandels erfahren. Ein generelles Forschungsthema der Wissenschaftler weltweit sind nämlich biologische Treibstoffe aus der Algenzucht. Sie können produziert werden, ohne dass dafür Flächen notwendig wären, die zur Bewirtschaftung mit Nutzpflanzen für die menschliche Nahrungsmittelproduktion gebraucht werden.