Fragen zu Leben und Tod von Kindern auf einem Floß

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Georg Kaiser stand im Mittelpunkt der Landesliteraturtage 2011 in Sachsen-Anhalt. „Das Floß der Medusa“ des vor 133 Jahren in Magdeburg geborenen Theaterautors hatte im September in einer Inszenierung des Theaterjugendclubs Magdeburg eine mit viel Beifall bedachte Premiere.

Es ist ein höchst komplizierter Stoff, den sich die 13 jungen Leute des in Deutschland größten und vermutlich auch bedeutendsten Theaterjugendclubs in Magdeburg vorgenommen hatten. Ein britisches Schiff will wegen der deutschen Bombenangriffe Kinder nach Kanada in Sicherheit bringen. Doch das Schiff wird torpediert, sinkt, und lediglich diese 13 Kinder überleben in einem Rettungsboot, vielleicht auch Rettungsfloß. Lange Tage und Nächte folgen, die Hoffnung sinkt und je länger die Odyssee dauert, wird es ein Kampf um Leben und Tod.

Eine solche Extremsituation spült Ideale ins Meer, läßt Menschlichkeit als Dummheit erscheinen, spielt mit dem Gedanken an Kannibalismus und reduziert die Persönlichkeit eines Menschen auf seine praktische Verwendbarkeit.
Allan, einer der Schiffbrüchigen, widersetzt sich der Reduzierung auf bloßen Überlebenskampf und muss schließlich erkennen, dass er von seinen Mitschiffbrüchigen missbraucht und hintergangen wurde. Als nach etlichen Tagen und Nächten Hilfe von einem Wasserflugzeug kommt, will er nicht gerettet werden, will sich nicht wieder in diese Menschengesellschaft einreihen.
Der Autor des Stückes Georg Kaiser, Sohn eines Magdeburger Kaufmanns und in seinen Lebensumständen und -ansichten durchaus kontrovers beurteilt, sah in der Figur des Allan wesentliche Züge seines Lebens. Auch er wollte sich nicht retten, als die Nazis ihm Publikumsverbot erteilten und konnte erst in letzter Sekunde fliehen. Einstein und Thomas Mann setzten sich für ihn ein, wollten ihm ein Visum für die USA verschaffen, nachdem er in die Schweiz geflüchtet war, aber auch das scheiterte. Georg Kaiser starb arm und vergessen 1945, ohne je seine Heimatstadt Magdeburg wiedergesehen zu haben.
Es sind große Schuhe, die sich die jungen Laiendarsteller für ihr Stück ausgesucht haben. Ihr Regisseur Bastian Reiber, als Schauspieler seit der Spielzeit 2009/2010 in Magdeburg, Jahrgang 1985, also selbst nicht viel älter als seine Darsteller, hat das Projekt von Theaterpädagogin Simone Endres übernommen. Man spürt, dass seine Intention vor allem war, den Spaß an der schauspielerischen Darstellung zu erhalten und weniger, die dramatische Tiefe des Stücks auszuloten. Auf diese Weise bieten sich Einblicke in das Seelenleben von 16- bis 18jährigen, die man vermutlich auch nur in diesem Alter verstehen kann. Dazwischen dann jedoch immer wieder existenzielle Fragen, wie: „Bin ich so unentbehrlich, dass ich weiterleben darf?“ oder „Muss sich einer opfern, um die anderen zu retten?“
Es sei dahingestellt, ob die Beantwortung in der Lebensrealität junger Leute tatsächlich vorkommt. Aber im Kern geht es um die Werte für das eigene Leben und die Wertigkeit in der Gesellschaft. Und das ist allemal sehr aktuell.
Insofern waren die Schuhe dieses Stoffes in der Tat ziemlich groß. Doch das ungeheure Engagement, der Einsatz, die Spielfreude und das vorhandene Talent bei allen 13 jungen Schauspielern lassen die Gewissheit aufkommen, dass es nicht lange dauert, bis sie in die Schuhe reingewachsen sind.