Immer mehr und trotzdem nachhaltig?

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Immer mehr Erträge in der Landwirtschaft, immer effizientere Produktion, immer mehr Konsum und Verbrauch. Der Widerspruch zwischen der Ökonomie und der Ökologie scheint nicht lösbar zu sein. Oder gibt es vielleicht doch einen Weg, der beides vereint?

Fassade der Fakultät für Humanwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ZB

Das scheinbare Zauberwort heißt biobasierte Volkswirtschaft. Welche Konzepte sich dahinter verbergen, versuchten Politikwissenschaftler der Uni Magdeburg herauszufinden. Sie untersuchen in einer großangelegten Studie, welche politischen Prozesse in Deutschland dazu beitragen können, Konflikte zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umweltschutzbelangen, zwischen Ökonomie und Ökologie, zu lösen und zu einer nachhaltig produzierenden, also bioökonomisch basierten Volkswirtschaft zu führen. Innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF geförderten Verbundprojektes Bio-Ökopoli analysiert das Team um Prof. Michael Böcher vom Institut für Gesellschaftswissenschaften, wie regional, national, aber auch europaweit bioökonomische Prozesse politisch gesteuert werden müssen, damit Konflikte zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Folgen politisch entschärft bzw. gelöst werden können.

Der Begriff Bioökonomie beschreibt eine nachhaltige Form des Wirtschaftens, die auf der effizienten Nutzung von biologischen Ressourcen basiert. Der Wandel hin zu einer biobasierten Volkswirtschaft sei, so Böcher, ein wesentlicher Teil aktueller deutscher und europäischer Wirtschafts- und Technologiepolitik. Zum einen, um wirtschaftliche Standortvorteile zu schaffen, zum anderen als Beitrag zum Klimaschutz.

„Das Konzept der Bioökonomie beansprucht, eine Brücke zwischen innovativen Technologien, einer effizienten Wirtschaft und positiven Umwelteffekten zu schlagen“, so Böcher weiter. „Allerdings sind die ökologischen Wirkungen keineswegs immer eindeutig und durchaus gesellschaftlich umstritten.“ Im Hinblick auf die Produktion von Biomasse beispielsweise werden Konkurrenzen und Konflikte zwischen verschiedenen Nutzungsarten der Flächen, etwa für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion einerseits oder für die Erzeugung von Rohstoffen für die stoffliche oder energetische Nutzung andererseits, immer wieder kontrovers diskutiert.

Zwar sei die energetische Nutzung von Biomasse für das Klima prinzipiell besser als die Verbrennung fossiler Brennstoffe, weil hier nur der Kohlenstoff freigesetzt wird, der zuvor in der Biomasse gebunden wurde. „Aber bei Berücksichtigung der Produktionsbedingungen der Biomasse-Stickstoff-Düngung, Reduzierung der Wald- und Naturschutzflächen, Auswirkungen auf die Biodiversität – könnte am Ende der positive Umwelteffekt fraglich sein“, so der Nachhaltigkeitsexperte.

In Kooperation mit Kollegen der FernUniversität in Hagen werden Prof. Michael Böcher und sein Magdeburger Team die kommenden drei Jahre auf verschiedenen territorialen Ebenen die Wechselwirkungen zwischen bioökonomischen Entscheidungen und ökologischen Folgen untersuchen und eine Reihe von Fragen beantworten: Lassen sich ökologische Forderungen nach einer naturverträglicheren Landwirtschaft und Ernährungssicherheit mit einer intensivierten Landnutzung zur Biomasseerzeugung vereinbaren? Tragen Verfahren und Techniken der Bioökonomie tatsächlich zum Klimaschutz bei, welche politischen Maßnahmen sind angesichts zu erwartender Wirkungen und Konflikte sinnvoll, welche nicht?

„In der Forschung fehlt es bislang an Studien über den Verlauf politischer Prozesse zur Nutzung, Förderung oder Regulierung bioökonomischer Verfahren“, so der Politikwissenschaftler. „Diese Lücke wollen wir schließen. Darüber hinaus werden wir die Projektergebnisse auch fortlaufend in den gesellschaftlichen Diskurs über Bioökonomie einspeisen und zum Beispiel Workshops mit Praktikern aus der Bioökonomie veranstalten. Auch die Studierenden der Uni Magdeburg werden profitieren, da wir innerhalb des Forschungsprojektes auch universitäre Lehrformate entwickeln werden.“

Nach Abschluss des Projektes werden die Forschungsergebnisse in wissenschaftliche Publikationen und Praxisbeiträge einfließen. Ende Mai dieses Jahres wurde eine Projekthomepage freigeschaltet und so auch der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sich über das Projekt und dessen Ergebnisse zu informieren. Mit dem Politikwissenschaftler Prof. Michael Böcher ist an der Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg Ende 2016 erstmals der Lehrstuhl Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung berufen worden.

Der Lehrstuhl ist mit dieser Denomination deutschlandweit einer der ersten seiner Art. Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in der politikwissenschaftlichen Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung, insbesondere in den Bereichen Klima-, Naturschutz- und ländliche Regionalentwicklungspolitik. Ein weiterer wichtiger Forschungszweig sind die wissenschaftliche Politikberatung und insbesondere Studien dazu, wie wissenschaftliches Wissen aus den Umweltwissenschaften Wirkungen in Politik und Gesellschaft erzielen kann.

Prof. Böcher absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Medienwissenschaft an der Universität Marburg. Nach einer Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Forst- und Naturschutzpolitik an der Universität Göttingen folgte 2008 die Promotion an der Universität Göttingen. 2015 wechselte Böcher an das Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität in Hagen. Böcher beriet unter anderem das Bundesamt für Naturschutz, das Umweltbundesamt, das Bundeslandwirtschaftsministerium und das österreichische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.