Der Mensch ist analog

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Das Wort Digitalisierung wird in vielen Bereichen, in der Industrie, bei Banken und Versicherungen oder im Alltagsleben der Menschen, wie ein Mantra vorgetragen. In der Tat entspricht die Welt der Daten einer Umwälzung, wie der Übergang von der Hand- zur Maschinenarbeit. Doch der Mensch ist nun mal analog und nicht digital. Also kommt es darauf an, eine sinnvolle Verbindung zwischen Menschen und digitalen Systemen, wie Robotern zu finden.

Wenn es um Digitalisierung und Industrie 4.0 geht, entsteht oft der Eindruck, dass nur die Technik im Vordergrund steht. Die digitale Intelligenz wächst. Innovative Technologien, Maschinen und Roboter übernehmen immer komplexere Aufgaben. Doch dass selbst die spannendsten Zukunftsszenarien nicht ganz ohne Menschen auskommen, zeigen eindrucksvoll aktuelle Projekte und Studien aus Sachsen-Anhalt.

Wie sich die Arbeitswelt verändern wird, beschäftigt Wissenschaftler und Studierende der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg bereits seit über fünfzig Jahren. 1965 gegründet, ist der Lehrstuhl Arbeitswissenschaft und Arbeitsgestaltung am Institut für Arbeitswissenschaft, Fabrikautomatisierung und Fabrikbetrieb (IAF) gefragter denn je. „Die Digitalisierung betrifft alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche“, so Lehrstuhlleiterin Sonja Schmicker. Das bedeutet laut Schmicker, dass mehr denn je Akzeptanz für neue Technik aufzubauen ist, um Distanzen zwischen Mensch und Roboter zu überwinden. „Die beste Technik nützt nichts, wenn sie nicht auch angewendet wird.“

Damit beschäftigt sich auch futureTEX*, eines der Forschungsprojekte, in dem von Beginn an der Mensch die Schlüsselposition in dem Prozess ist. Ziel dieser Zwanzig20-Projektpartnerschaft ist die Entwicklung einer zukunftsfähigen Textilwirtschaft in Deutschland. Angesichts der Übermacht der Textilhersteller in Schwellenländern gilt das allerding nur für so genannte intelligente Textilien, die  besonderes Know-how erfordern.

Gesundes und mobiles Arbeiten im technischen Service hat das interdisziplinäre Projekt ArdiAS* im Visier. Digitale Assistenzsysteme, die Fähigkeiten, wie Tastsinn und Handarbeit nicht einschränken, werden für Servicemitarbeiter an Windrädern Lösungen zur Erleichterung bei der körperlichen Arbeit, wie auch bei der psychischen Belastung erarbeitet.

Das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Assistenzrobotik, eine der wesentlichen Disziplinen der Industrie 4.0. Entscheidend ist dabei die Sicherheit der Menschen bei der Zusammenarbeit mit Robotern. „Wir entwickeln beispielsweise neue sensorische Verfahren zur Erkennung des Menschen im Umfeld des Roboters“, so Professor Norbert Elkmann, Leiter des Geschäftsfeldes Robotersysteme. „So stellen wir sicher, dass in der Mensch-Roboter-Kooperation keine Gefährdung für den Menschen entsteht.“

Ende letzten Jahres wurde hier eine umfassende und weltweit einmalige Probandenstudie abgeschlossen, die die Belastungsgrenzen bei Berührungen zwischen Mensch und Roboter erstmalig untersucht hat. Aus tausenden Versuchen zu Schmerz-  und Verletzungseintritt mit speziellen Versuchseinrichtungen wurde eine Wertetabelle ermittelt, die für die zukünftige Normung sehr wertvoll ist. Zudem bilden die Daten die Basis für zuverlässige Simulationen von komplexen Produktionsabläufen mit Kontaktsituationen.

Zu mehr Sicherheit bei der Nutzung von Robotern verhelfen außerdem die Projekte FourByThree und SAPARO.

Eine optische Arbeitsraumüberwachung von Mensch‐Roboter‐Kooperationsarbeitsplätzen wurde im Projekt FourByThree weiterentwickelt und umgesetzt. Druckempfindliche Bodenbeläge, die eine Art Tastsinn besitzen, sichern im Projekt SAPARO die Arbeit von Menschen zusammen mit frei im Raum beweglichen, autonomen Robotern.

Ein Großprojekt mit Beteiligung aus Sachsen-Anhalt wird in Kürze eingeweiht: Der Abwasserkanal Emscher im Ruhrgebiet, mit über 400 Kilometern  Länge das aktuell größte Wasserbauvorhaben in Europa, wurde in Teilen bereits 2018 in Betrieb genommen. Für die automatisierte Kanalinspektion des Hauptsammlers über 76 Kilometer entwickelte das Geschäftsfeld Robotersysteme des Fraunhofer IFF eine neue Generation autonomer Inspektions- und Reinigungsroboter. Inspektion und Reinigung des Kanals sind dann im laufenden Betrieb möglich.

Die Einsatzmöglichkeiten von Robotern sind nahezu unermesslich. Während sie in gefährlichen, schmutzigen oder monotonen Arbeitsbereichen bereits häufig zu finden sind, könnten „intelligente“ Assistenzroboter mittelfristig auch dort eingesetzt werden, wo Fachkräfte fehlen. Beispielsweise in der Pflege. Tatsache ist, dass in solchen sensiblen Bereichen, wo es auch auf Empathie, Mitgefühl, Verständnis und andere Fähigkeiten ankommt, die keine Technik ersetzen kann, dürften solche Systeme allerdings nur als Hilfsmittel dienen. Die Robotik-Spezialistin Elkmann schränkt deshalb auch ein: „Die Einzigartigkeit des Menschen hinsichtlich seiner Flexibilität, der kognitiven und sensomotorischen Fähigkeiten, verbunden mit Erfahrungswissen, lassen sich nicht einfach so auf Technik übertragen. Doch die Robotik entwickelt sich weiter, bringt Erleichterung, Sicherheit und (Lebens-) Qualität in viele Bereiche.“