Kairo – ein Moloch zwischen Erhabenheit und Müll

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Mit der Erholung und Entspannung, so wie am Roten Meer in El Gouna, ist es spätestens mit der Ankunft auf dem Internationalen Flughafen Kairo vorbei. Das Klima der Metropole am Nil ist kurz vor Weihnachten außerordentlich angenehm. 22 bis 23 Grad Wärme, trockene Luft, die allerdings durch Wüstenstaub und Smog von unendlichen Autoschlangen getrübt ist. Die Pyramiden von Kairo sind natürlich ein Muss für jeden Touristen, der hierher kommt, und eine Herausforderung sind sie auch.

Bevor man die Weltwunder erreicht, muss man sich erst durch die Stadt quälen, denn der International Airport liegt am anderen Ende dieses Millionenmolochs. Apropos Millionen: Wieviele Einwohner Kairo hätte, wollen wir von einem Mitarbeiter des Fremdenverkehrsministeriums wissen. Die salomonische Antwort lautet: „So zwischen 18 und 24 Millionen, je nachdem, wie weit man die Stadt geographisch fasst. So ganz genau weiß das niemand.“

Auf der achtspurigen Ringstraße kommt man nur langsam voran. Wer am lautesten hupt, hat Recht und Vorfahrt, die Autos, Lastkraftwagen und Busse bewegen sich wie eine zähe Masse Kilometer für Kilometer vorwärts. Dazwischen immer wieder Unfälle, was bei den teilweise abenteuerlich aussehenden und hoffnungslos überladenen Fahrzeugen auch nicht verwunderlich ist. Polizei ist weit und breit nicht zu sehen, sie wären auch hoffnungslos überfordert. Dieses Chaos ist nicht zu ordnen.

Kaum nähert man sich dem Nil, oder besser der Nilinsel von Kairo, fallen rechts und links der Ringstraße die Armenviertel ins Auge. Hier entstehen ohne jeden Plan Häuser mit einer Dachplatte, aus der einzelne Betonsäulen ragen. Sie sind als nächste Etage gedacht, wenn die Kinder soweit sind, hier einzuziehen. So wachsen die Häuser wie die Familien. Haben die Kinder kein Interesse, dann bleibt das unfertige Haus eben so stehen. Die Bauweise ist immer gleich. Betonpfeiler bilden ein Skelett, das mit Ziegelsteinen ausgefüllt wird. Putz ist unnötig, Fenster müssen durchaus nicht symmetrisch und schon gar nicht in der gleichen Höhe eingebaut werden. Steht ein Haus dicht am nächsten, dann kann es schon mal sein, dass die Müllentsorgung auf die darunter liegende unfertige Dachplatte erfolgt.
Müll scheint für den europäischen Touristen als erster Eindruck überhaupt das größte Problem zu sein. Eine geordnete Müllabfuhr gibt es zumindest in den Armenvierteln nicht. Jeder wirft seine Abfälle dorthin, wo es ihm geeignet erscheint. Die Stadt erstickt in bestimmten Bereichen förmlich an stinkenden, qualmenden unendlichen Müllhalden.
Ausgerechnet auf der Gizeh-Straße, der Ausfallstraße in Richtung der Cheopspyramide, die durch dicht besiedelte Armenviertel führt, ist dieser Zustand kaum zu ertragen. In der Mitte dieser vierspurigen Straße ist ein Kanal, der in den Nil abfließen soll. Dieser Kanal ist stellenweise meterhoch mit Müll zugeschüttet. Dazwischen liegen tote, aufgeblähte Tiere und kleine Kinder spielen dort, während sich Hunde an den Kadavern zu schaffen machen.
Diese Bilder hinterlassen bei europäischen Touristen natürlich Schocks, weshalb man damit begann, Teile des Kanals mit Beton zuzuschütten und Erde aufzufüllen, so dass der Müll nun unterirdisch in den Nil gespült wird.
Auf die Frage, wieso man der Müllberge nicht Herr wird, gibt es unterschiedliche Antworten. Früher sei das nicht so ein gravierendes Problem gewesen, lautet die eine, die von anderen Gesprächspartnern gleich als Unsinn zurückgewiesen wird. Dann heißt es, dass die Kopten, die christliche Minderheit, früher den Müll gegen ein Handgeld entsorgt hätten. Abfälle hätte man an die Schweine verfüttert. Die gebe es nun nicht mehr, weil Mubarak vor zwei Jahren ein Gesetz erlassen hätte, nachdem alle Schweine beseitigt werden mussten. Nachprüfbar ist das eine wie das andere kaum. Der Müll und die Abfälle allerdings, die bleiben.
In Sichtweite der Cheopspyramide liegt das Luxushotel Mena House Oberoi. Eine Mauer zur Straße schirmt den Moloch vom Luxus ab. Kaum ist man hinter der Mauer, gibt es Grünflächen, Blumen, gepflegte Wege und ein Märchenhotel wie aus Tausendundeiner Nacht. Seit 1869 verzaubert der Prachtbau, ursprünglich Palast des Khediven Ismail Pascha, seine Gäste mit edler Atmosphäe und Pyramidenblick. Inmitten der duftigen Jasmingärten haben schon Kaiser und Könige, Stars und Staatsoberhäupter genächtigt. Zur Eröffnung des Suezkanals war es das beste Hotel, das man Staatsgästen bieten konnte.
Doch selbst hier warnt eine Kairoexpertin, eine Deutsche, die seit 30 Jahren in der Millionenstadt lebt: „Bitte nichts Ungekochtes und kein rohes Gemüse essen.“
Von dieser Prachtoase inmitten großen Elends ist es nicht weit zu den legendären Dashur Pyramiden in der Wüste, die sich direkt an die Stadt anschließt. Schier unendlich groß ist das Gebiet, auf dem sich neben den Dashur Pyramiden, der Cheopspyramide oder der Knickpyramide zahlreiche weitere im steinigen Gelände ohne jede Pflanze befinden. Die Wüste hier ist ein riesiger Friedhof für Generationen von Pharaonen. Nur ein Teil ihrer Grabmäler ist touristisch erschlossen. Was sich unter der Erde noch befindet, so ein arabischer Kamelhirte, der für ein paar ägyptische Pfund Touristen zum Fototermin auf die friedlichen Tiere hievt, kann man nur erahnen. Die Ägypter wissen das und schützen das Gelände mit Militär und Polizei. Grabräuber haben schon reichlich Schaden angerichtet. Nach Einbruch der Dunkelheit kommt man nicht mehr auf das Pyramidengelände.
Für uns wird eine Ausnahme gemacht. In einem eigens errichteten Festzelt gibt es bei orientalischer Musik erlesene Speisen im Angesicht der angestrahlten drei Pyramiden, von denen die des Pharao Cheops die bekannteste ist. Die ITB, die Internationale Tourismusbörse Berlin, macht es möglich. Ägypten als offizielles Partnerland braucht dringend wieder Touristen, und so finden sich denn Minister der Übergangsregierung zu dieser Tafelrunde gleich reihenweise ein. So ein Festmahl vor den Pyramiden hat Tradition, erfahre ich am Rande von einem Eingeweihten. Hier hat schon Gamal Abdel Nasser seine Gäste empfangen, der gestürzte Mubarak ebenso.
Die nächtliche Wüste, die Pyramiden – jetzt kommt erstmals der Odem der Geschichte bei mir an. Ägypten ist ein wunderschönes Land, aber voller Widersprüche, voller Armut und voller Pracht. Es ist das Land, wo alles begann.
Rolf-Dietmar Schmidt